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Der Wind spielte mit meinen Haaren, als ich mit dem Fahrrad den Feldweg entlang fuhr. Der Weizen tanzte gelbgrün auf dem Feld, wie Meereswellen im Wind. Augenblickträumend würde ich sagen,  man könnte hineinsteigen wie ins Meer. 

Ich fuhr nur ein paar Meter weiter und blieb vor einem filigran geschmiedeten Eisenkreuz stehen.

Jemand war hier und Stecktechnik Jesus eine Margerite in die Hand. Ich denke Ihn humorvoll und über die Geste lächelnd. Wer klettert denn auf ein Kreuz?

"Bon journée Madame!" rief eine männliche Stimme aus einem vorbeifahrenden Lieferwagen. 

Bestimmt trug der Wind meine Antwort nicht weit genug dass er sie hören konnte.

Im Weingarten stehen drei Kirschbäume mit reifen Kirschen. 

Ich freue mich auf die Hütte. Im alten CD-Spieler befindet sich noch eine CD.

"Im gonna take you girl,

and hold you,

and all the Things I told you

in the midnight hour...."

Ein Weingartennachbar, bestimmt nur knapp über 20, errötet wie ein Schuljunge, wenn er mich sieht.

Ich pflückte eine Stofftasche mit Kirschen voll. 

Was für blöde Gedanken da aufblitzen: Oma sagte immer: "Spuck die Steine aus und trinke kein Wasser sonst musst du furzen." Der eine oder andere Stein gelang doch in den Magen.

Nils kam vier Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin.

Nach an paar Wegen, meinte Lars es wären vielleicht nur Blähungen- er ist höflich- denn es sei viel zu früh für die Geburt. Ich wurde so wütend und schrie" wenn dass ein Furz ist, dann fliege ich bis zum Mond bei dieser Heftigkeit.

Wir lachten jede Wehe weg. Wir lachten durch die hindurch. 

Den Schmerz wegzulachen, hindurchzulagen.....es wird leichter...man macht ihn erträglich.















B




Abends wenn die Sonne ihre Unterganszeremonie zelebriert und den Himmel in wunderschönen Farbnuancen taucht, zeigen sich die Milchkaffeefarben bis kastanienbraunen Maikäfer. Laut brummend summen sie ihr Lied und tanzen fliegend um das Terrassenlicht.

Ich liebe die alten Lichtschalter, der verschnorkelte Gitterglobus aus Gusseisen über die Lampe gestülpt, die Fensterläden aus dunklem Holz - "Eiche ist das," begutachtete Rene. Er weiss es sicher. - mit ebenso verschnorkelte Haken dran. Das alte Wetterhäuschen mit einer Frau und einem Mann. Die Frau bringt Sonne, der Mann den Regen. Wieso nicht umgekehrt? Ich liebe den Regen. Bringt ihm die Frau die Sonne und er ihr den Regen? Sonnenlachen und Regentränen. Altes Wetterhäuschen mit alter Tradition, aber ich liebe es. Heute steht die Frau vor der Tür und zeigt auf das Thermometer das auf 20°C steht. 

Heute habe ich Fenster geputzt, den Briefkasten innen und außen geputzt und außen die royalblaue Farbe mit einem Lappen und ein paar Tropfen Leinsamenöl aufgefrischt.

Lars sieht sich eine Streaming-Serie an. Ich bin immer noch kein Fernsehmensch. Ungeduldig daneben zu sitzen ist nicht meine Stärke. 

Danach machen wir einen Abendspaziergang. Ich habe das Gefühl als würde es Staub aus den Baumkronen regnen.

Auf dem Feldweg hat sich viel Staub angesammelt. Lars hat einen Hustenanfall und ich habe das Gefühl als hätte ich Flöhe auf der Haut und in den Augen. Auf dem Gras sieht es aus als hätte man Suppeninstantpulver darüber gestreut.

Ob ein Gebet an den Wettergott hilft...... Womöglich.  

Früher hat mir Staub nie etwas ausgemacht. Ich möchte nicht empfindlich werden.

Erst nach einen ausgiebigen Bad, fühlte ich mich wohl in meiner Haut, im Herzen und in Gedanken.






Urlaub




Ich habe Urlaub. Ich nehme die ersten zwei Maiwochen immer Urlaub. Heute Morgen war ich auf der Baustelle. Der Umbau ist langwierig und wir kommen nur sehr mühsam voran. Nun haben wir wieder Wasser fließendes Wasser. Die Kaltwasserleitungen und die Warmwasserleitungen mussten neu verlegt werden. Der Anblick der roten Ziegelsteine mit dem grauen Zementmörtel dazwischen erinnert mich an ein Sandwich mit viel Belag zwischen den Brotscheiben. 

War es dumm von mir, jetzt umzubauen? Oma sagte oft: "am Haus gibt es immer etwas zu kleben, wie an einem Schwalbennest".  Stimmt schon, denn irgendwann veralten die Leitungen, die Kabel in den Wänden und je länger es man herauszögert, umso mehr Geld kostet es.

Jemandem wie mich, die keinerlei Unordnung mag, ist es merkwürdig tatenlos zuzusehen wie langsam die Wände wachsen. Sie sind erst so groß wie ich. Nicht viel. Trotzdem kann ich hier ganz still stehen und die Faserungen der roten Ziegel und die Zementbutter dazwischen beobachten.

Mein Vater war Handwerker. Opa war Handwerker und René ist Handwerker. Und alle drei haben eines gemeinsam: sie erklärten mir nicht wie man was macht. Ich wollte immer "mithelfen" aber da bekam ich nur Befehle wie: gib mir die Zange, den Nagel oder ich soll das oder jenes anreichen.

René ist etwas hilfbereiter. Er lässt mich mitbauen und genießt es regelrecht mich zurechtzuweisen, wie ein Schulkind. Typischer Wassermann mit einem ausgeprägten  Perfektionismus. 

"Wenn der Umbau fertig ist kaufe ich mir ein paar Glyzinien. Blau und goldfarben und weiß." unterbrach ich die Stille. 

Im Garten, wenn man die Fläche hinter dem Haus noch so nennen darf, herrscht große Unordnung Ungebändigte Natur. Wo die Küche und der Vorraum hin müssen, war einmal eine Blumenwiese über einer alten Scheune.


Espresso zum Entmissen

Es ist auf die Sekunde genau 05:00 Uhr. Es hört sich an als würde sich das Haus aus dem Schlaf erwachen und sich strecken. Im Keller springt der Heizkessel aus seinem Schlaf und zieht ordentlich Wasser. Und wie durstig er ist.

Dann fließt das Wasser durch die Rohrvenen. Ich bin wach. Die Jalousien fahren hoch und das kratzende Geräusch erinnert mich daran, als würde jemand den Asphalt vom Schnee freikratzen.  Die Morgensonne blinzelte durch die Fensterscheiben.  Das letzte Schlafkörnchen ist aus den Augenwinkeln gewichen, also kann ich ganz leise aufstehen um niemanden zu wecken. 

Heute ist ein besonderer Ostermontag. Heute wäre Mamans Geburtstag. Hat man eigentlich post mortem auch Geburtstag? Ich vermisse sie. An Feiertagen ist mein Vermissen eine gefühlte Unendlichkeit. In der Küche weine ich lautlos vor mich hin. 

Wie in einer Zeitlupe gefangen und mit tränenverschleierten Augen entferne ich das restliche Chaos vom Osterfest, das restliche Geschirr sortiere ich in die Spülmaschine ein und decke den Frühstückstisch. Routinemäßig. Bei mit fühlt es sich schon als Chaos an, wenn nur eine vergessene Serviette noch auf dem Tisch liegt. Nirgendwo bin ich empfindlicher als in der Küche. Die muss blitzsauber sein. 

Wenn man kleine Kinder hat, kann man Feiertage nicht einfach ignorieren. Also gab es gestern zum Osterfest für sie Osternester im Garten. Emsig rupften sie das noch frühlingscrude Gras und formten daraus ein Osternest.Mit Grasflecken auf der Kleidung kamen sie ins Haus gerannt und hielten immer wieder Ausschau nach dem Hasen. Jeder Feldhase hastig quer durch den Garten rannte, war Zoés Meinung nach der Osterhase. 

Beim Oster-Essen waren wir alle Erwachsenen irgendwie in unseren Herzhäuten gefangen.  Am liebsten hätte ich mich den ganzen Tag im Garten aufgehalten. 

Das Wetter war frühlingshaft wunderschön. Die Natur blüht im Augenblick pastellfarben. Die fragilen Blüten an den Apfelbäumen zitterten im lauwarmen Frühlingswind.  Ich hatte mich unter einen Apfelbaum gesetzt und genoss den zart süßlichen Apfelduft. 

Lars und ich hatten beide Bereitschaftsdienst und wir hatten den gleichen innigen Wunsch: "Bitte kein Anruf!" 

Nils zahnt zur Zeit ganz heftig und obwohl er ein sehr ausgeglichenes und ruhiges Kind ist, weinte er fast den ganzen Nachmittag. Erst als das winzige Mäusezähnchen das Zahnfleisch durchbrochen hatte, ging es ihm gut und er zeigte stolz sein neues Zähnchen.

Maman hätte ihren Geburtstag nicht gefeiert. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt. Aber Ostern und Weihnachten legte sie sich richtig ins Zeug. Sie gab alles. Und wenn sie die ganze Nacht in der Küche stand, sie war an diesem Tagen wunderbar kreativ. 

Das Leben geht weiter, so sollte es auch sein. Das Herz aber blickt ab und zu zurück und oftmals wandert es ein Stück Weg zurück und besucht alle die es irgendwann zurück lassen musste.  Wenn nur für einen Augenblick oder nur für eine bestimmte Zeit, ist die Hintergrundmusik des Herzens etwas melancholischer.

Nach dem Frühstück fahre ich in die Praxis um da die Monatsabrechnung(März) zu machen, damit Ende April alles pünktlich da ist wo es sein sollte. Zu Hause kann ich mich nicht konzentrieren. Nils weicht mir nicht von der Seite und er lässt sich mit nichts ablenken. Und wenn er nur ganz still auf meinem Schoß sitzt, er muss da sein wo ich bin.

Allein in der riesigen Praxis zu sitzen ist ein etwas mulmiges Gefühl. Lars hat Frühdienst in der Klinik.

Während der Pause hat er zig Nachrichten abzuhören und zu lesen.

Ich lese mich durch die Patientenakten und versuche jeder Akte ein Gesicht, ein Leben und Augenblicke zuzuordnen.




Jeder Mensch hat seine Herzgeschichte. Einige kommen nur ein paar Male in die Praxis. Ein Unfallpatient zum Beispiel, kommt, lässt sich medizinisch versorgen, kommt zur Nachuntersuchung und dann ist die Akte zu. 
Ich mag Menschen die leise Spuren hinterlassen und keine Narben.Sie sind auf einmal da, sind leise, freundlich, bedanken sich und gehen.


Einige bleiben für Monate, für Jahre. Und es entsteht eine Art Bindung. Sie sind humorvoll trotz schwerer Krankheit, sie inspirieren mich, sind empathisch auch wenn ich nicht im Nu alles wegzaubern kann.


Ich mache einen kleinen Spaziergang und bewundere die blumigen Anlagen. Man gibt sie immer viel Mühe damit. Es ist so viel Leben draußen und ich muss wieder zurück.


Lars wird nach dem Dienst vorbeikommen, hat er geschrieben. 

Ich bin noch richtig gut motiviert und schätze, dass ich bis spätestens Freitag alles gepackt habe.
Diese Woche habe ich Spätdienst. Vormittags werde ich mich in meinem Büro einschließen und arbeiten.

Maman ist heut
.e meine Hintergrund
musik.
Sie ist leise in ihren Worten. Sie schrie selten.
Was genau in ihrem Herzen und in ihren Gedanken vorging, wusste nur sie.
Aber sie hatte viel Liebe. 
Wenn sie wütend war, sagte sie Worte die weh taten, oder nachdenklich stimmten. Danach hatte sie alles "vergessen."

Ihre Worte sind mir heute Musik. Sie sind Refrain.
Ich stehe auf, um mir einen Espresso zuzubereiten. Für einen Augenblick zögere ich: "Hast du auf die Uhr gesehen? Kaffee ist nicht gut für dich."

Ich gehe zurück in mein Büro und arbeite weiter.
Kaffee Verträge ich nicht. Mehr als 2 Espresso pro Tag auch nicht.

Und das Vermissen? Es müsste einen Espresso gegen das Vermissen geben.