Advent .....und kein Lichtlein brennt

Willkommen in meiner Weihnachtsmuffelwelt, liebe Leser.

Letzte Woche war gefühlt sehr intensiv. Zwei Krankenhäuser brauchten unsere Hilfe und die neue Coronavariante Omicron oder SARS CoV. 2 erfordert neue Schutzregeln für uns, für unsere Mitarbeiter, sowie für unsere  Patienten. Neue Verhaltensregeln die nur ungern und zögerlich bei Patienten ankommen. Und ich, undiplomatisch direkt. Über das was zur Zeit ist, diskutiere ich ungern mit jemanden der nicht verstehen will und kann. 

Jeder Mensch hat seine Gründe, seine Ängste, seine Erfahrungen, also muss ich niemanden belehren. Und wir hatten 3 Notfälle die wir zuerst stabilisieren mussten, damit sie transportfähig sind und es bis ins Krankenhaus schaffen. Ich verliere nur ungern jemanden. Ich möchte kein Dankeschön oder ein Lob, sondern es beruhigt mich zu wissen, dass er/sie es geschafft haben.

Hinzu kam noch die Monatsabrechnung, die Überweisungen, der Termin beim Steuerberater. Und ich, habe völlig vergessen, dass die Adventszeit beginnt. Erst am Samstag Morgen als ich nach dem Nachtdienst nach Hause kam und Lars mich ausgehfertig erwartete, fiel mir wieder ein, dass die Adventszeit beginnt.

Ich habe schneller eingekauft, als einen Einkaufszettel geschrieben, wenn ich allein einkaufen fahre. Mit Lars einzukaufen ist wie ein Spaziergang. Er ist völlig entspannt, gelassen und lädt mich immer ins Café ein. Er flirtet dann mit mir und ich verliebe mich in ihn neu. Es ist schön ......uns gegenseitig auf andere Gedanken zu bringen, den banalen Alltag in etwas Besonderes zu verwandeln. Es gibt immer etwas was sich unter der Banalität des Alltags entdecken lässt. Mit ihm vergesse ich die Zeit. 

Während wir uns neu ineinander verliebten, vergaßen wir sogar einen Adventskranz zu kaufen. 

Zu Hause angekommen bekommen wir Auspackhilfe. Anschließend bin ich mit Lars Mam zurück gefahren um Adventsschmuck zu kaufen. Tante ist gesundheitlich etwas angeschlagen und bestand nicht darauf  die Adventsdekoration selbst in die Hand zu nehmen. Wenn es ihr nicht gut geht ist sie unausstehlich anstrengend. 

Lars hatte Nachtdienst und musste vorschlafen und am Sonntag haben wir vergessen die erste Kerze am Adventskranz anzuzünden. Kein Fensterschmuck, keine Adventssterne, denn sie sind ungeeignet für Kleinkinder.

Am Sonntag Abend hatte ich Nachtdienst und nach dem Abendessen, als Mam' die Kinder abholte fiel mir das mit der Kerze erst auf.

Wir hatten nur noch uns für ganze zwei Stunden, bevor ich in die Nacht hinaus fahren musste.

Ich fuhr durch den großen Kometen aus blinkenden Girlanden mit bunten Lämpchen. Buntes Geflimmer schmückte auch Häuser und Bäume und Sträuche, Höfe und Stallungen. Alles blinkte wie verrückt gewordene Ampeln, als würden sie unbedingt die Novemberstille in ein Straßenfest verwandeln wollen.

Ich fragte mich während der Fahrt, ob jeder weiß was eigentlich gefeiert wird, oder ob man Angst hat vor der Dunkelkeit der Winternächte ohne Schnee, wenn der Tag am Nachmittag endet und die Dunkelkeit der Nacht unsere Fragilität zur Geltung bringt. Ob das Nebelgrau die Menschen so traugig machen kann, dass sie unbedingt Licht brauchen um sich nicht allein zu fühlen.

Wovor ich Angst habe und ob meine Ängste berechtigt oder utopisch sind?

- ich habe Angst urplötzlich gehen zu müssen und jemanden zurückzulassen.

- ich habe Angst vor diesem Omicron und dessen Folgen

- ich habe Angst um die Kinder, um Lars

- und noch mehr Angst habe ich davor, dass meine 2 Herzklappen irgendwann müde werden, für drei Herzklappen zu arbeiten.

Also genoss ich das Licht. Und ich wäre am liebsten umgedreht und hätte eine Kerze für meine Lieben angezündet. Und für mich. 

Ich fuhr durch das Herz des blinkenden Kometen und verglich unsere menschliche Fragilität mit einer Christbaumkugel. Ein leichter Schubs in die Herzgegend und wir zersplittern und niemand kann uns nicht mehr zusammensetzen. Der ein oder andere Splitter würde fehlen. Auf eine oder andere Art wären wir unvollkommen und vielleicht sogar hilflos und angewiesen, dass jemand uns an der Hand nimmt, oder uns sogar trägt.

Wenn ich mich an Advent aus der Kindheit erinnere, habe ich ein Bild von Maman als arbeitende Frau vor Augen die entweder vom Dienst kam oder zum Dienst aufbrach. Sie machte Sonntags Hausbesuche bei ihren Patienten. Für viele war sie auch Hausärztin. Ich sehe Pá am Schreibtisch oder sogar am Küchentische sitzen und Extemporale und Hausaufgabenhefte seiner Schüler zu korrigieren. Oma und Opa Adventskerzen anzünden und uns beibringen zu wollen, was Weihnachten bedeutet und wurden wütend auf mich, dass ich die geschmückte Tanne in der guten Stube nicht bewundere, dass meine Kinderaugen bei dem ganzen Bling-Bling nicht leuchten und eher wütend bin, dass sie gefällt wurde, in der Stube vertrocknet und dann verbrannt wird.

"Alles hat seinen Zweck" sagte Oma. "Das Holz wärmt dich, du hast warmes Essen und aus der Asche macht man Lauge. Du solltest den Nutzen sehen." Ich sah damals den Nutzen nicht. 




Tränenflüsse und Tränenmeer

Wer mag schon Karstflüsse? Irgendwann verschwinden sie. Man könnte auch Lieben die plötzlich versickern und enden Karstliebe nennen. 

"Du musst doch endlich mal erwachsen werden!" schimpfte Oma als ich ihr von meiner Trennung und von meiner Scheidungsabsicht erzählte. "Du bist eine Rebellin! Wird es dir langweilig, lässt du es liegen. Du warst schon als Kind immer schnell gelangweilt. Kann es sein, dass du dich wieder mal gelangweilt hast. Hast du dich zurückgezogen? Ich habe dir gesagt, der junge Mann ist nicht das was du dir unter einem Mann vorstellst." schrie sie. 

"Was stelle ich mir denn für einen Mann vor?  Bestimmt nicht einer der zu blöd ist, um einen Kaffee zu kochen, aber die Weiber wie Motten anzieht" schrie ich zurück.

Oma hob den Kochlöffel und winkte damit. "Wehe du schreist mich noch einmal an!" sagte sie leise.

Dann fielen wie uns in die Arme und weinten uns gegenseitig leer. Wie Flüsse sich leerweinen, wenn sie ins Meer übergehen, wie die  la Loue in die la Doubs, dann in die Saône und in den le Rhône und in das la mer méditerranée übergeht. Für mich war Oma la mer méditerranée.

"Du bleibst bei mir" flehte sie mich an. "Ich muss jetzt auf dich aufpassen." weinte sie weiter.

"Omi ich muss aber Fabián helfen," versuchte ich ihr zu erklären wieso ich wieder gehen muss.

"Nein! Nein! Nein!" rief sie enttäuscht. "Der hat nicht auf uns gehört. Er hat deine Maman schwer enttäuscht. Sie war bis zuletzt wegen ihm traurig. Dich nimmt er mir nicht!" weinte sie weiter.  Aber wohin weinte sich Oma? Sie hatte keinen Ozean, sie hatte keine Atlantique.

Ich wusste, dass sie mich verstehen konnte. Sie kannte unser Zusammenhalt bis fast zur Selbstaufgabe.

"Dann überrede ihn auch nach Hause zu kommen. Er hat doch uns hier."

Oma verpachtete die Praxis an einen ehemaligen Kollegen von Maman. Es war eine Zwischenlösung. Doch dann erkrankte er und musste aufgeben.

Und Omi war später auch nicht mehr da. 

Und ich war ein Karstfluss, in der Liebe. Ich liebte vorübergehend.

Ist es das was die Trauer, das Vermissen, das Nichtweiterwissen aus einem macht? Man ist tagtäglich nur vorübergehend, man liebt nur vorübergehend?

Nichtwissend wohin man fließen soll, verschwindet man, versickert man. Man will unsichtbar bleiben in der Liebe und ebenso unsichtbar im Leben? Ist es wirklich das was man will?  Ja nein, ich bin nicht eine Frau die wachgeküsst werden will, - ich küsse wach. Ich wollte nie den Prinzen, sondern den Freund. Den der sich nicht scheut mit mir Schritt zu halten und der, den es nichts ausmacht mit mir albern zu sein. Kindisch. Teufelisch. 

Ja nein, das Leben forderte mich heraus. Ich konnte nicht vor mich hin irgendwohin sickern, ich musste fließen, ich musste Fluss werden und Meer werden.

Hatte Maman unbewusst, Marie als meinen ersten Vornamen gesetzt, damit ich weiß dass ich ein Meer werden muss für Zuflüsse die mir am Herzen liegen? 

Mein Vater war ein Pragmatiker und er redete wie er dachte, und er dachte wie er fühlte, ungefiltert. Meine Patentannte hieß Emma und er meinte, dass Emma ein Name für eine Kuh sei. Also nannte er mich Émilia. In  französischer Sprache wird mein Vorname ´´Emilie geschrieben und wird Émiii ausgesprochen. Er bestand auf das a. Es war ja kompromissbereit, wie er immer scherzte.  "Das a am Ende bleibt! Aus die Maus!" 


Puisque tout passe
faisons la mélodie passagère,
celle qui nous désaltère aura de nous raison.
Chantons ce qui nous quitte avec amour et art,
soyons plus vite que le rapide départ.

 


 


Martinsfeuer.

 Wir, mein Bruder Fabián und ich, sangen für eine Weile im Kinderkirchenchor mit. Wir waren keine schüchterne, ängstliche Kinder, aber ich wollte nicht vor vielen Leuten singen. Fabián hatte damit kein Problem, denn er hatte eine wunderschöne Tenorstimme und er konnte singen. Er war eh geselliger als ich. Er wurde gern gehört, wie er stimmlich überragte. Bei mir hingegegen - so hatte ich das Gefühl - wartete man sehnsüchtig darauf, dass ich aus meiner Schüchternheit heraus so blockierte und den Text vergaß. Man war gespannt wann ich patzte.

Die Proben waren für mich schon eine Qual. Wir bekamen jeweils ein Gesangsheft in die Hände gedrückt und für Kinderhände ist ein DIN 5 Heft schon schwer um Seite für Seite umzublättern. Wer sich so viel Mühe machte um die Notenblätter auf die Seiten zu kleben, war etwas ungeschickt. Sie Seiten waren viel zu steif um sie um geräuschlos umzublättern.

"Mach mal bitte den Mund auf, damit auch ein Ton herauskommen kann!" sagte der Chorleiter und fixierte mich mit seinen dunklen Augen streng. "Dein Bruder gibt sich sehr viel mehr Mühe als du."

Ich versteckte mein Gesicht hinter dem Gesangsheft, damit niemand sehen konnte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten und meine Wangen sich tomatenrot färbten. "Der Junge singt schön, aber das Mädchen hat eine viel zu leise Stimme, " hörte ich die alten Frauen in der ersten Reihe miteinander laut flüstern.

Nach der Aufführung an Martinsfeuertag musste ich nicht mehr hin. 

Am Martinsfeuertag liefen wir in einer Prozession durch ein kleines Wäldchen bis zu einem Acker.  Da sang ich noch mit und ich gab mir große Mühe meine Stimme zur Geltung zu bringen wie Fabián. Nun ja, immerhin war ich etwas lauter. Ich freute mich für meinen gelungenen Auftritt und rannte und hüpfte den anderen Kindern nach. Ich hüpfte über kleine Äste und zweige die die Waldarbeiter achtlos liegen ließen und verfing mich irgendwie in einem rostigen Draht. Mit einer zerkratzten blutigen Wade kamen mein Bruder und ich zu Hause an. Maman säuberte die Kratzer und da mein Impfstatus eh aktuell war, machte sie sich wegen Tetanus keine Sorgen.

Nach dem Nachtessen mussten wir ins Bad zum Zähneputzen.

"Aaaalleees in Ordnung mit dir" hörte ich Fabian mit der Zahnbürste im Mund sprechen. Ich wollte etwas sagen, aber da war ein Rauschen in meinen Ohren und meine Stimme war weg. Ich hörte nur noch das Rauschen in meinen Ohren und meinen Herzschlag gegen mein Trommelfell.

Als ich die Augen aufschlug lag ich in meinem Bett und mein Bein tat höllisch weh, als meine Maman mir eine neue Strumpfhose anzog,  mein Opa mich hochhob und mich zum Auto schleppte. Maman setzte sich zu mir auf den Rücksitz, hielt mich in ihren Armen und Opa fuhr uns in Krankenhaus.

Dort angekommen ging es mir wieder gut. Ich fühlte mich stark. "Mir geht es gut!" versicherte ich dem Kinderarzt.

Er lachte und meinte, dass wir trotzdem auf  Nummer Sicher gehen müssen. Blutentnahme und EGK und Wundversorgung folgten und ich durfte nach einer gefühlte Ewigkeit nach Hause. Fabián und René hatten Angst um mich und heulten wie Schlosshunde.

Meine Sorge war das Chor. Ich wollte da nicht mehr hin. Und ich musste nicht mehr hin. "Ich mag nicht singen, wenn alle mich ansehen." beschwerte ich mich. Und Opa ordnete bestimmend an: "Das Kind muss nicht in die Kirche, wenn es nicht dahin will. Die sollen ihren Scheiß allein singen." Opa glaubte zwar an Gott, aber mit der Kirche hatte er es nicht so. Seine Gründe waren eher politischer Art und seine Meinung darüber sehr deutlich und seine Wortwahl war nicht kindgerecht. "Die Kirche ist wie eine Hure. Sie läuft jeder Regierung hinterher." 

Zwei Ausnahmen gab es: Kommunion und Firmung. "Danach musst du nicht mehr in die Kirche, wenn du nicht willst." sagte Maman. 

Es gab keine Martinsgans, dafür sorgte Opa. Er war gegen Traditionen. 






Liebefresser

Vor einiger Zeit, habe ich im Fernsehen ein Interview mit einem Poltiker gesehen, der auf Anfrage einem Reporter verraten hat, dass das Geheimnis einer guten Ehe getrennte Schlafzimmer seien und ich musste lachen. Abgesehen davon, dass dieser alte Herr sich zig. Badezimmer leisten kann und seine Gattin nicht gerade vor Begeisterung und Liebe euphorisch wird, ihn nackt zu sehen.....ich muss immer noch darüber lachen....vielleicht meinte er den Alltag und hat ihn bis auf ein Minimum abstrahiert und seine Ehe auf die Hygiene reduziert.

Ich habe den Samstagvormittag in der Küche verbracht. Wir am Abend zu einem Teeabend eingeladen und jeder sollte etwas Leckeres mitbringen. Ich habe einen marmorierten Blechkuchen mit Mascarpone gebacken. Danach habe ich noch meine Haare gewaschen und frisch geduscht. 

Wir haben auch ein Bad neben dem Schlafzimmer und unten neben dem Wohnzimmer eine Dusche. 

Oma wollte im "großen Haus" keinen "Dreck" haben. Also hatte sie darauf bestanden den Keller auszubauen und eine Küche ein Bad und ein Wohnzimmer einzurichten und den Rest als Vorratskeller zu nutzen. Aus dem Wohnzimmer habe ich ein Esszimmer und eine Leseecke/Spielecke gemacht.

Wenn ich jetzt die Ehe auf die Hygiene reduziere, stören  mich offene Klotüren, herumliegende getragene Klamotten, nasse Dusch- oder Handtücher  und eine dreckige Badewanne und Dusche können mich wahnsinnig machen. Im Waschbecken herumliegende Bartstoppeln würden bei mir einen Schreikrampf auslösen. Wäscheberge lassen sich schnell reduzieren und herumliegendes Spielzeug ist ebenso schnell in den Kisten. Dafür würde Nils mich "Sack, Sack" sorgen. Ich muss oft energisch darauf bestehen und "aber Zack, Zack" rufen. Anscheinend liebt er es "Sack, Sack" zu rufen und jedes Spielzeug extra in die Kiste zu bringen, um anschließend "oh alles" zu rufen.

Neulich erzählte mir eine Bekannte, dass ihr Partner sie nicht gerne in der Küche sieht, sie würde dann nach Essen riechen und es wäre unerotisch. Daher gehen sie meistens zum Essen in ein Restaurant. Aber gut, jedem das Seine. Wer Eimerfraß mag und Kochen unerotisch findet, sollte essen gehen.

Es gibt keine bessere Erotik als gemeinsam zu kochen, oder wie Lars es pflegt zu sagen "du schnippelst und ich esse" oder er kostet und kostet vor.

Ich koche mehr weil er sich vorher schon fast satt ißt. Ich liebe es wenn er jede Zutat bewundert und jeden Zubereitungsschritt verfolgt.

Würde er mir reinrdeden, wäre er schnell aus der Küche. Meine Küche, mein Spielzeug.

Ob die Liebe vom Alltagsstress mit der Zeit Häppchenweise gefressen wird? Ich finde, dass Lars geduldiger mit den Kindern ist als ich. Und ich bin schneller und effektiver was Hausarbeit und Garten betrifft. Ich habe ihn, als wir nur miteinander befreundet waren und weder er noch ich uns mit anderen Augen sahen, mit seiner kleinen Tochter erlebt. Er hatte so viel Liebe und so viel Geduld für sie. Die schlaflosen Nächte, ihre Krankheit, die vielen Operationen, sie waren für ihn kein Stressfaktor. Er ist feinfühliger als ich. 

Ich rede in seine Erziehungsmethode nicht rein. Er bringt ihnen auf eine spielerische Art alles bei und ich wie kleinen Erwachsenen viel ernster.

Meine Hektik frisst mich noch irgendwann auf. Ich kann mit Druck und Stress beruflich umgehen, aber privat möchte ich keine Hektik auf Lars oder die Kinder übertragen. Deshalb bevorzuge ich eher im Haushalt meine Ordnung. Ich bin schneller als Lars im Haushalt.

Dann nehme ich die Kinder und wandere. Total begeistert sind die Kinder vom Herbst. Ich könnte stundenlang mit denen durch das Laub wandern, Kastanien sammeln. Ich fühle mich zusammen mit ihnen erneut kindisch und Kind.

Ich finde es erotisch albern zu sein. 

Gestern Abend tat es uns gut wieder zwischen Freunden und Bekannten zu sein. Passiert selten, da wir auch Wochenenddienste haben und nicht dabei sein können und wollen.  Bei Tee, Kuchen, Keksen und Säften zusammen zu sitzen und zu albern war schön. Man erfährt die eine oder andere Neuigkeit. Ein paar haben ihren Tee mit Alkohol verfeinert und waren stockbesoffen. 

Ich bin so Einiges aus dem medizinischen Alltag gewohnt, aber als einer sich eingenässt hat und die Couch und den Teppich volgekotzt hat, hörte bei mir der ganze Spaß auf.

Ohne mich. Ich mache so ein Mist nicht mit. Bei mir kommt keiner bei und verkotzt mir die Hütte. Ich habe dafür kein Verständnis.

Ich überlege mir noch, ob ich einen Teeabend veranstalte. Wenn, dann unten im Alltagszimmer. 

Ich kann es gar nicht genau beschreiben, was in mir vorging, als ich die beiden Besoffenen sah. Ich hatte urplötzlich eine Art Panikatacke als der eine mich und alle anderen umarmte. ich dachte, wenn ich ich einen Schritt zurückmache oder ihn wegschubse wird er aggressiv werden. Er war gar nicht aggressiv. Trotzdem hatte ich Panik. Ich war 5 oder 6 Jahre alt, als mein Vater eine ganze Flasche Wein allein leerte und meiner Mutter hinterherschrie: "ich schlachte dich ab wie ein Vieh!" 

Ich konnte vor Lars das Zittern nicht verbergen. Wir warteten noch eine halbe Stunde ab und dann verabschiedeten wir uns von allen und fuhren nach Hause.

Ich frage mich ob die Frau des Betrunkenen, sich für ihn geschämt hatte. Das wäre für mich ein Liebefresser. 




Nur absurde Gedanken


18:30 zeigen die Uhrzeiger auf die Zeit. Bis 21:30 habe ich noch Bereitschaftsdienst. Ich sitze in meinem Büro in der Praxis und gehe alle benötigten Unterlagen für November durch. Mein Drucker spuckt ein Blatt nach dem anderen aus. Listen....Listen .....neue Regelungen, OP-Pläne, Dienstpläne für diesen Monat.

Ich sammele noch die letzen Freizeitwunschzettel von der Pinnwand und brechne die Stunden neu. Das Planänderung, da Urlaubstage, da Bereitschaft, da Klinik.

Seit ganzen 2 h sitze ich da und versuche meinem Team klarzumachen, dass jeder von uns 8 Tage für das KH zur Verfügung stehen muss. Auch ich bin keine Ausnahme. Viele von uns haben Schulkinder, Kleinkinder und müssen auch ihre Freizeit danach gestalten. Immer 2 Wochen im Voraus kann ich nur planen.

Und dann sitze ich da und bereite mir noch einen  Salted Caramel Chocolate zu. Schmeckt lecker, aber er verklebt. Mehr als eine Tasse könnte ich davon nicht trinken. Plötzlich fielen mir Menschen ein die eine große Rolle in meinem Leben spielten, die teilweise mehr oder minder in meinen Herzen verwurzelt sind.

Tante Lina. Ich sehe mich und Fabian unter ihrer riesigen Federdecke am 10. Januar als Oma's Sommerküche brannte und wir Kinder vor Angst uns draußen auf ihrer Veranda im Schnee versteckten. Es schneite die ganze Nacht und der Schnee glitzerte wunderschön im Hoflicht. irgendwie nahm der Schnee mir die Angst.

Ich bin überrascht wer alles so urplötzlich in meine Gedanken kommt.

Wie Opa zu Tante Lina kam, wurde mir auf eine wunderschöne Art erzählt. Opa arbeitete für sie und ihren Mann(ich kann mich nur noch ganz vage an ihn erinnern wie er zu mir sagte "Du bist ja ein Lockenköpfle!") und mich verstrubbelte.

Da Tante Lina keine Kinder hatte, vererbte sie Opa den Hof, weil er so fleißig war. Darüber wieso Tante Lina Oma nicht mochte, wurde nie geredet. Sie hätte sich angeblich jemand anderen für Opa vorgestellt. Aber Opa war mit Oma verheiratet. Manchmal frage ich mich ob Oma und Opa sich sehr geliebt haben. Jeder hatte so seine Macken die den anderen zur Weißglut brachten. Auf eine individuelle Art waren beide sehr eitel, sehr akkurat. Ob Liebe diesen Perfetionismus auf Dauer mag.....der oft zu Diskussionen oder Streit führt......Ich denke schon, denn als sehr eigenständige Menschen hätten sie ohne ihre Liebe zu einander nicht zusammen leben können.

Oma hatte ihre Macken und ihre Abneigungen. Wen sie nicht ausstehen konnte, dem hat sie es auch ins Gesicht gesagt. Oma hatte sich auch in die Partnerschaften ihrer Töchter eingemischt. Die einzige Tochter bei der sie sich so richtig einmischen und austoben konnte, war Maman. Maman war wegen uns Kindern auf sie angewiesen duldete mehr oder minder widerwillig das Einmischen. Später stellte Oma fest, wie sehr sich Maman mit meinem Stiefvater auch für Oma einsetzten und war voller Lob von den beiden.

Ich kann Abhängigkeit bis auf Blut nicht ausstehen. Ich bin ein eigenständiger Mensch und lasse mir ungern auf eine abhängige Art helfen. Ich helfe denen die mir helfen ebenso wo und wie ich kann mit vollem Herzen, aber ich werde nie jemandem vorhalten wie oft und womit ich geholfen habe.

Dann fiel mir mein bester Freund ein. Und ich frage mich ab und zu wieso er immer noch keine Freundin hat. Ich meine, eine feste Partnerschaft. Er sieht zwar nicht gut, eher sehr schlacht, aber das ist auch alles. Er ist nicht gerade Adonis, aber er sieht gut aus und ist ein sehr intelligenter und gepflegter Mensch. Es gibt nichts worüber man mit ihm nicht sprechen könnte. Seine Mama war immer so nett zu uns Kindern. Ich vermisse Menschen die einfach bedingungslos lieb zu mir waren.

Marie-Claude - eine gute Freundin aus dem Lycée. Sie lebte in der Stadt und hatte 10 Fußweg bis zur Schule. Sie lebte mit ihren 2 kleinen Stiefgeschwister in einer kleinen Wohnung und teilte das Zimmer mit ihren Geschwistern. Sie war Diabetikerin Typ I. Manchmal ging es ihr sehr schlecht und kippte oft um. Ich fragte Maman was ich tun könnte, damit sie nicht mehr umkippt. Dann erzählte mir Marie-Claude dass ihr Stiefvater das Geld versäuft und sie kein Insulin hat. Maman gab ihr immer mal für den einen oder anderen Monat alles mit. Dann trennten sich ich Stiefvater von ihrer Mutter und sie zogen eine andere Wohnung und nach dem Examen sah ich sie nie wieder, da sie irgendwo am Ende der Stadt wohnte und kaum mehr ins Zentrum kam.

Stepháne erzählte, dass sie Pharmazie studierte und geheiratet hätte und sogar nach Strassbourg weggezogen wäre.

Die alten Nachbarn fielen mir ein....und Kurt und Alice und seine wunderschöne Schrift. Meine Götter die war schön. Dass jemand so schön schreiben kann... das ist Gottgabe oder was auch immer für eine Gabe. Nicht einmal wenn ich 100 Jahre  Tag und Nacht üben würde, ich würde niemals so schön schreiben können. Feine Menschen - beide.

Ja.... ich hatte das Glück...... er ist ein wunderbarer Mensch.... ich hoffe er hat seine Erkrankung mit allen Nebenwirkungen im Griff und hat die Liebe seines Lebens gefunden. Er hat jemand Besseren verdient als mich. Oftmals frage ich mich ob er mit mir Wirbelwind überhaupt klar gekommen wäre....und den Mädels....ich wollte ihm diese beiden nicht zumuten.....er hat mehr verdient als jemand die sich um zwei Nichten kümmern muss. Jemanden die hundertprozentig für ihn da sein ist. Das geht nur wenn beide das Gleiche leben wollen und Geduld haben. 

Ich denke an Begegnungen, an einmaligen Begegnungen.....an Menschen die ich im Laufe meines Lebens auf die eine oder andere Art begegnet bin. 

Ich weiß ja nicht was mit mir passiert. Trage ich den Nidus an verknoteten Gefäßen in mir, oder meldet sich eine meiner Niere ab und schrumpft. Maman war in meinem Alter als sie die ersten Anzeichen kamen. Es ist das was mir Angst macht. Ich wollte deswegen nie Kinder bekommen und habe zwei. Ob es unverantwortlich war, nun ja, ich handele immer und lebe dann mit den Konsequenzen. Beide Kinder sind gesund und sehr agil. 

Das macht mir manchmal Angst. Was ist wenn.....

Der ganze Corona-Krieg macht mich fast wahnsinnig. Darf ich sagen weil es so ist. Bin geimpft. Mit der 3 Impfung wäre meine Grundimmunisierung abgeschlossen. Ich habe eine bikuspide Herzlappe mit Aortastenose und keine Trikuspidalklappe wie gesunde Menschen. Und wie ich Angst habe......und ich verlasse mich nicht auf die Forschung.....die Forschungs- und die Pharmakonzerne sind bekanntlich  Mafiakonzerne.......

Die Gedanken stimmen mich traurig. Ich muss mich zusammenreißen. Hoffe ich schaffe es bis ich nach Hause fahren kann.







November

Allerheiligen und die Agonie.

Frühnebel und Nieselregen. Beweglicher Feiertag. Totenmonat. Endlichkeit des Lebens. 

An diesem Tag könnte ich mich verkriechen, bevor Tränen mich auflösen könnten.

Man zieht schwarze Trauerkleidung an und geht in die Kirche zum Requiem für alle Seelen. Wieso ist Trauerkleidung schwarz? In einem kirschroten, sonnenblumengelben oder himmelblauen Kleid kann man mit dem Herzen ebenso trauern oder traurig sein. Wieso tragen Frauen ein Kleid und keinen Hosenanzug? Trauer sollte keinen Trauercodex haben.

Ich finde Nylontrümpfe unausstehlich. Und schwarze erst recht. Und jedes Mal schaffe ich es an einem Rosenstock hängen zu bleiben und eine schöne Laufmasche in den Strumpf zu häkeln.

Ich mag nicht in die Kirche gehen....ist so monoton, so gelangeilt. Das Requiem war irgendwie .....ja distanziert....fad.....es hatte keine Seele....oder der Pfarrer war noch im Mittagschlafmodus.... 

Ich habe die ganze Zeit gefroren....nicht wegen dem Nieselregen..... jedes Jahr ist es so und ich bin danach immer erkältet.....Lars auf einer Seite, René auf der anderen...sie hielten mich fest als die Tränen mich wegschwemmen wollten. Ich wollte mich hinsetzen auf den kalten Boden, wie ein Kleinkind sich hinsetzt, mit angezogenen Knien und den Kopf verstecken.... aber ich bin kein Kind mehr....und es wird mir an solchen Tagen so bewusst. Ich bin keine Tochter, keine Enkelin mehr. Ich bin auch zum Teil keine Schhwester mehr und auch zum Teil keine Nichte. 

Asche zu Asche. Wo Augenblicke davor noch das Gras kniehoch war, geht die Erde auf(wird die Erde aufgebuddelt) und Leben fällt wie ein Herbstblatt nach dem Lebenstanz in ein Loch und ist unwiederbringlich weg. Festhalten was weg ist ......auch wenn die Wurzel noch tief im Herzen verankert ist.......das Lebendige, die Seele ist weg.

Angeblich sollte diese Unsterblichkeit, diese Ewigkeit nur Trost sein.

Ich brauche diesen Trost nicht, denn ich weiß.....ich weiß es sehr genau wie ein Herz aufhört zu schlagen, wie die Haut eiskalt wird....ich weiß......weil ich es mit allen Fasern des Herzens und mit allem angesammelten Wissen gelernt habe......die Endlichkeit gesehen und gefühlt habe.

Das unberührte animalische, die Wildheit in mir fühlt noch jede Berührung, erinnert sich an den Duft der Haut, der Haare, hört noch viele Worte die wichtig wurden und immer noch wichtig sind, hört noch das Lachen, hört noch die Stimme in den Worten.....

Aber ja, die Kerze in meiner Hand.......das Zittern der Flamme, wenn mein Atem oder der Wind ihr zu nahe kommt.......das ist es nicht.......es gibt kein Leben hier in einem Grabvulkan mit weißen Astern bestickt. 

Gebet

Lehre mich die Unachtsamkeit
und wie man blind und taub durch den November wandert,
wie man einem Traum die Flügel bricht
dass er ungeträumt ins Abis fällt.
Wie ich in mir das Sonnenlicht 
nach dem Regen bewundern kann,
ohne den Himmel
für die Regenwolken zu beschuldigen.
Wie ich die Bäume bitten kann
ihre Blätter immergrün zu färben,
damit sie nicht im November
purpurfarben sterben.

Lerne mich weniger zu lieben,
im Morgengrauen nur 
oder nur am späten Abend,
damit kein Augenblick mehr schmerzt
wenn die Lieben gehen.
Lehre mich die Gleichgültigkeit,
nur für einen Augenblick,
wenn die Sehnsucht mich erdrückt.

Lehre mich für den Augenblick zu leben.


©Émilia




Wochenrückblick

Die letzte Oktoberwoche war arbeitsreich und auch emotional intensiv. Traubenlese, Wurzelnernte(Karotten, Pastinaken, Petersilie......), den Weingarten und den Garten hinter dem Haus winterfest zu machen, Monatsabrechnung für die Praxis und alles andere nebenbei und dazwischen.

Ende Oktober - die Agonie der Felder nach der Ernte war und ist für mich immer eine Verwüstung und gefühlte Leere. Eine gefühlte Entwurzelung.

Halloween wird hier auf dem Land gar nicht gefeiert. Es wird herbstlich dekoriert, aber damit wird die Ernte symbolisiert. Wenn man es ganz traditionell machen will, es gibt Herbstessen wie Eintöpfe, Kürbissuppen, Kürbiskuchen, Strudel usw....

Traubenball nicht zu vergessen. Dieses Jahr mit Maske. Ja nein, Ballkleid und Maske beim Tanzen, Abstand halten an den Tischen, keine Umarmungen, kein Schmusen in der hintersten Ecke......kein Türpfostenhalten.....dieses Jahr wollte ich ihn wieder ohne mich vorbeiziehen lassen Mir reicht die Maske schon im Dienst, oder beim Einkaufen. Ich habe einen aktuellen Impfstatus(mehr dazu möchte ich mich gar nicht äußern) Aber wenn ich mich ohne diesen Mundschutz nicht frei bewegen kann, wenn ich mich auf dem Ball nicht tanzend verausgaben kann wie man es eben beim Tanzen tut, dann verzichte ich auf Halbherziges.

Pustekuchen! Tradition ist Tradition und da beißt die Maus keinen Faden ab. Lars wollte so ein Traubenball miterleben. Seine Mam' auch und Tante ist bei so etwas eh nie zu bremsen. Dafür wird die Bandscheibe, das Knie und die Wetterhex' für ein paar Tagen vergessen. 

Für die Mädels war es auch neu und mit Schulkollegen und Freundinnen abzuhängen tat ihnen gut. Beim Traubenball versammeln sich Babies wie Greise. Es ist nachdenklich wie lustig den Kreislauf des Lebens zu beobachten wie kleine Windelpupser die erst laufen gelernt haben mit den uralten Omi und Opi tanzen. Gena dafür sind diese Feiern.

Am Sonntag gab es ein sog. "Halloweenessen." Die Mädels kennen es von ihrem Papa. Fabian liebte den ganzen Kram. Er dekorierte gern üppig. Er hatte für so etwas ein Händchen und er liebte es alles schön dekoriert zu haben. Keinen Kitsch, sondern Porzellan und Holz und Deckchen. Und er stand stundenlang am Herd um irgendwelche Leckereien zu zaubern. Also haben wir es dieses Jahr für die Kinder so schön wie möglich gestaltet und die Erinnerung an ihren Papa feiern lassen. 

Zusammen zu sitzen und gemeinsam zu essen, zu plaudern tat uns allen wieder gut. René hatte seine Freundin eingeladen und für sie war es zu viel "Familie." Sie wollte es etwas locker angehen lassen, eine Art Freundschaft + Extras,  aber er nicht. Er dachte es würde sich zu mehr entwickeln, aber hat es schnell eingesehen, dass Gefühle sich manchmal nicht mitentwickeln. Wer weiß was er wieder an ihr kritisiert hat. Bei René mit seiner verschlossenen Wassermannart, weiß man eh nie woran man ist. er findet immer einen Punkt, über den er etwas auszusetzen hat. Er ist kreativ, er hat eine sensitive kreative Ader und wenn er sich wirklich ins Zeug legt, dann wir es etwas Besonderes. Aber wehe er findet " den Fleck" der ihn stört, dann ist es Schrott für ihn. So viel Laune wie in ihn reinpasst hat er. Diskussionen sind da überflüssig. Er dreht sich weg und lässt einem stehen. Er braucht jemand die ihn führen kann. Wieso wollen Männer Frauen haben, die ihnen sagen wo es lang geht?

Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich Lars ständig führen müsste. Er soll sich wagen mich zähmen zu wollen. Pustekuchen!