Zwischen den Büchern - über Weiblichkeit und Männer

Tante bekam gestern ihre zweite Covid19 Impfung von BioNTech verabreicht. Die erste Impfung hat sie gut vertragen und außer Schmerzen um den Einstich hatte sie keine Beschwerden. Auch die zweite Impfung scheint sie ohne Nebenwirkungen zu vertragen. 

Die einzige Sorge - "mein Salon ist staubig - meine Bücher....Kind meine Bücher sind staubig!" 

Tante hat auch eine riesige Bibliothek die fast bis an die Decke reicht und sich um drei Wände ausdehnt. Ich wollte einen Tag meines Urlaubs ab 10 Mai opfern um ihre Bücher vom Staub zu befreien, denn kein einziges wird in der Makulatur landen. So lange sie lebt nicht. Alles ist alphabetisch und nach Genre sortiert. 

"Im Schlafzimmer habe ich auch noch welche," sagte Tante voller Stolz in der Stimme.

Sogar über dem Bett hat sie ein Bücherregal. 

"Die hast du alle gelesen?" fragte ich erstaunt.

"Aber ja. meinst du ich schaue sie nur an? konterte sie etwas verärgert, da ich ihr das Endloslesen nicht zugetraut hatte, da sie gerne draußen in der Natur ist und sehr viel arbeitet. Tante hat vor ihrer Trennung von ihrem langjährigen Partner in der Stadt gewohnt und hatte nur eine kleine Terasse und einen winzigen Vorgarten zu bepflanzen. Sie hatte sehr viel Zeit zum Dauerlesen.

Erst als sie bei René ins Erdgeschoss zusammen mit meiner großen Nichte eingezogen ist, ist sie bei Wind und Wetter draußen in der Natur. 

Als ich sie zusammen mit René heute Morgen besuchte um nach ihrem Zustand zu sehen, fanden Tante auf der Holzleiter mit dem Staubwedel in der Hand. 

"Ich bin zwar schon alt, aber schaut mir nicht unter den Rock" scherzte sie

"Du hast eine Leggins an Tante," lachte ich. René hatte sie höflich überhört.

"Ich konnte nicht herumsitzen und der Staub wächst mir über den Kopf."

Von wegen Staub. Tante ist  akribisch ordentlich und alles ist staubfrei. Sie musste nur herumwuseln. Wenn es regnet und sie draußen nichts tun kann, stellt sie drinnen alles auf den Kopf.

"Wenn ihr mich jetzt kontrollieren wollt, ob meine Nuss unter der Schädeldecke funktioniert, dann könnt ihr Kaffee zubereiten. Rahmküchle habe ich neben dem Brotkasten in einem Teller zugedeckt. Deckt den Küchentisch, brauche hier keinen Dreck."

René kann dieser Perfektionismus nicht ausstehen. Er ist ein Handwerker und eher praktisch.

"Habt ihr euch die Hände gewaschen? Geht euch die Hände waschen!"

Ich schmunzele und renne ins Bad.

"Ich muss euch was erzählen, wenn ihr schon da seid." sagte Tante und ließ uns aufhorchen.

Ich sehe auf die Uhr, da ich zum Mittagdienst musste.

"Dauert nicht lange, " sagte Tante als sich mich auf die Uhr sehen sah.

"Ich habe einen Freund. Bevor ihr auspricht was ihr denkt, ich sei zu alt dafür, es ist ernst mit uns. Wir werden aber nicht zusammenziehen. Ich brauche keinen Mann der Dreck ins Haus bringt, das macht der da" - sie zeigte auf René - schon genug, wenn mit den Arbeitsschuhen über den Treppenteppich rennt und nie den Teppich absaugt. Wir treffen uns ab und zu bei ihm.....ihr wisst schon.....Für euch ändert sich nichts."

"Tante du weißt wie dich die Trennung von Onkel mitgenommen hat." sagte ich vorsichtig.

"Den habe ich geliebt, mit dem hier gehe ich nur ins Bett....oder auf den Tisch."

Tante hatte schon immer ein riesengroßes Mundwerk. 

"Und seit wann hast du den Freund?" fragte René

"Seit fast einen halben Jahr." 

Uuuups! und wir haben nichts gemerkt.

"Na, ich wollte sicher gehen...ihr wisst schon....Euer Onkel hat mir immer vorgeworfen ich wäre nicht elegant genug. Ich wäre nicht geschminkt, nicht weiblich genug. Ich wollte wissen ob der mich mit Jeans und Pulli nimmt."

Als ich mich von Tante verabschiedete, rannte ich schnell nach Hause. Lars hat Elternfreizeit und springt nur ein wenn ich Termine habe.

"Bin ich elegant genug für dich? fragte ich wie aus der Pistole geschossen.

"Bitte was?" fragte er erstaunt.

"Stören dich Jeans und Pulli? Tante hat mir erzählt, das es meinen Onkel gestört hätte."

"Und was soll mich an deinen Jeans stören?" 

"Ach nichts!"

"Du bist eh ein Wirbelwind. In diesen Wirbelwind habe ich nicht verliebt. Auch Latzhosen würden dich kleiden.

Weiblichkeit. Wir sind kleine, schlanke Frauen. "Schneewittchen ohne Po und kleine Tittchen." Damit verletzte mein Vater meine Mutter immer. Auch die Männer in unserer Familie sind und waren schlank und und keiner erreichte 180cm Körpergröße.

Weiblichkeit - ich ziehe auch mal gerne ein Kleidchen an. Praktischer ist er aber in Hosen. Und da ich eher ein praktischer Mensch bin, kleide ich mich von Jeans bis Chino, Cord und Bundfaltenhosen. ich mag keine Skinny-jeans oder Leggins. Ich liebe Hemdblusen und enge Pulli.ich schminke mich nicht, aber ich pflege meine Haut und meine langen Haare. Trotzdem fühle ich mich nicht weiblich genug. Diese weiblichen üppigen Rundungen habe ich nicht. 

Ich weiß nicht was Männer mit Weiblichkeit meinen.....wenn sie dieses Gezicke oder diese langen Plastikkrallen meinen oder einen dicken Po......

Was fasziniert mich bei den Männern? Humor, Natürlichkeit, Naturverbundenheit und er muss eine gepflegte Haut und gepflegte Zähne haben. Empfindlichkeit bei Männern......die können zurück zu ihrer Mama an den Rockzipfel. Ich muss mit dem balgen können, in Pfützen springen können, ohne dass es ihn stört, wenn ich vom Feld komme und das ganze Feld auf der Kleidung heimtrage und Lars mich trotzdem umarmt und küsst.


Ein großes Zimmer mit großen Fenstern,

Holzregale mit Büchern und Porzellanfiguren,

und dazwischen Bilder und Gemälden an den Wänden.

Und in der Mitte des Zimmers,

eine immer noch schönem einsame Frau.

Sie scheint etwas zu lesen.

Keine Unordnung für die man sich entschuldigen sollte,

und keine Kleidung für die man sich schämen sollte.

Auch nicht für das chaotische Herz sollte man sich schämen.

Für das Lächeln, für die melancholischen Augen, 

für die leere Teetasse vom Vorabend.

Nur die muntere Sonne

nach dem Nachtregen

zeigt ein paar Staubkörner tanzend.

Der Fliederbaum blüht mauve

und duftet nach Mai.

Die Frau mitten im Zimmer 

lächelt immer noch frühlingshaft

Um sie herum vo viel Leben 

und so viele Fingerspuren zwischen den Seiten

in den Büchern im Regal.

Eine Porzellanpuppe in einem Barockkleid lächelt leblos vor sich hin.



Kochkunst

 Alles was im Garten wächst wird gegessen. Man muss es nur wissen zuzubereiten. Meine Mutter verbrachte den ganzen Tag in der Praxis, also wurden wir Kinder den Großeltern und Papá überlassen. Papá hatte neben dem Lehramt wo er an einer Sekundär II Schule unterrichtete noch einen Nebenerwerbgewerbeschein und züchtete Geflügel aller Art, verkaufte Kücken, Eier, kleine Enten, Gäne, Truthähne, Puten und somit waren wir Kinder voll in alles miteinbezogen.

Opa schreinerte und Oma hatte den Garten, den Haushalt und uns fest im Griff.

Und jeder konnte oder lernte kochen. Nicht die ganz hohe Kochkunst, sondern aus dem Garten, aus dem Stall, einfach und lecker.

Und wie Kinder schon sind, zumindest die Wenigesser unter ihnen, aßen wir nicht alles.

Löwenzahn, der blüht zur Zeit wie kleine gelbe Sonnen.

Aber die Blätter - Oma nannte sie Butterblätter - daraus machte sie Spinat.

Ich war schon sauer, wenn sie nur in die Nähe meiner gelben Sonnen kam. Ich liebte Löwenzahn damals schon abgöttisch. Und seine Blätter abzurupfen war ein Verbrechen und ich stellte mich stumm. 

Wir saßen Abends alle zusammen am Tisch und Oma und tatsächlich schaufelten wir den grünen Löwenzahnspinat mit Spiegeleiern und in feinen Scheiben gebratenem Speck (Kinnbäckle) von den Tellern.

"Schmeckt der Spinat so gut?" fragte Oma erstaunt und erfreut über unser Schaufeln.

Ich nickte, da man mit vollem Mund nicht sprechen sollte.

"Der Spinat ist süss!" rief ich nachdem ich leergegessen hatte.

"Ja, Opa hat Zucker rein," klärte mich mein Bruder auf.

Opa machte eine Prise Zucker in den Spinat. Das mit den Butterblättern, sah ich halt nicht so gut, aber Löwenzahnspinat ist so lecker.

Tomaten- ich vertrage sie bis heute schlecht. Aber ich esse Tomatensauce wie sie Opa zauberte und habe davon kein Sodbrennen. Da wir eh den Tomatenmark selbst einkochten war er eh ohne Konservierungsmittel und ohne irgendwelche Salze.

Er schwitzte einfach Mehl mit Butter an, fügte das Tomatenmark, Salz und was sonst wenn nicht Zucker und fertig war die rote Zauberspeise. Ohne Kräuter, ohne Furzzwiebeln. Und die Krönung war der Vanillezucker. Man kann es sich dieses außergewöhnliches Amalgam aus Tomate und Vanille nicht vorstellen, wie ich mir nichts mit stinkendem Bärlauch nicht vorstellen kann. 

Zitronenpfeffer machte Opa selbst. 

Oma kandierte Veilchen und Kornblumen, Rosenblätter und wenn Oma Kräuter und Knoblauch hackte, sah es so aus als hätte sie einen Motor in den Händen eingebaut. Unser alltägliches Essen wäre für Feinschmecker nicht einmal etwas Besonderes, aber allein beim Zusehen, wurde man zum Mitkochen beflügelt. Oma und Maman legten so viel Liebe mit in den Kochtopf und auch als Wenigesser aß man mit Appetit. Auch ich koche schnell und gut und jeder Handgriff sitzt beim Kochen. Ich brauche auch keine Uhr am Backofen zu stellen, ich habe es im Gefühl, wann etwas gar ist. Aber ob man diese Liebe ansieht oder fühlt, weiß ich nicht. Lars ist eh alles was auf den Tisch kommt. Und die Mädels ebenso, außer Zoé ißt keine Ananas. Hawaiitoast habe ich auch noch nie gegessen. Er war als ich Kind war sehr beliebt, aber weder Oma noch Maman hat ihn zubereitet. 

Lars hat ihn für die Mädels zubereitet.

Er aß den als Kind oft. Er und sein Bruder waren Schlüsselkinder in der Großstadt. Seine Mama arbeitete Vollzeit und hatte sogar einen Nebenjob und als sich seine Eltern trennten und sein Vater zurück nach Irland zog, waren die Jungs Selbstverpfleger. Dann gab es oft Tiefkühl-Pizza, Toast, oder was halt für 7- und 10jähjrige Jungs schnell und leicht zuzubereiten ging. Daher auch die innige Bindung zwischen den Brüdern die auch jetzt noch anhält.

Pizza - Lars wollte die Mädels und mich mit Pizza überraschen, aber er konnte bis anhin keinen Teig kneten. Er bat mich abends für den nächsten Tag Pizzateig zu machen. Ich hatte keinen Gramm Hefe und wollte nicht zu Tante rennen. Ich machte den Pizzaboden aus Ziehteig, aus Strudelteig und der war so blättrig und so krokant, dass die Mädels Pizza nur noch mit diesem Teig mögen.


Die Schulklasse

Valérie - war zwei Jahre lang meine Schulkollegin im Lycée d’enseignement général
im ES(économique et sociale). Wir waren beide 16 Jahre alt und wir waren Schulfreundinnen. Unsere Freundschaft verließ den Schulhof nicht.
Sie war viel größer als ich und das größte Mädchen in der ganzen Klasse und hatte ganz lange blonde Haare und eine etwas rötliche Haut, etwas trockene Haut und ganz dunkelbraune fast schwarze Augen. 
Über mich befreundete sich mit meinem Zwillingsbruder an. Sie verliebte sich in ihn, aber da sie größer war als er, hielt er sie irgendwie auf Abstand. Sie aber hatte nur Augen für ihn. 
Morgens rannte sie immer zuerst auf ihn zu und begrüßte ihn mit freundschaftlichen bisous, als gäbe es niemanden sonst auf der Welt und ich zog ihn zu Hause immer damit auf und er wurde daraufhin immer wütend. Pubertät ist ein Albtraum zwischen Kindsein und Erwachsensein. In einem Moment spielen wir miteinander, hören Musik, machen die Fußgänger mit unseren Farräder sicher und im nächten Moment führen wir miteinander einen emotionalen und körperlichen Krieg. Dann ist unser Körper uns peinlich, unsere Emotionen überschlagen sich. Ich war eher schüchtern, sie war es nicht. Sie war irgendwie für jeden da. Sie war sogar Klassensprecherin und konnte sehr gut argumentieren. Entweder war sie mit nur wegen Fabian befreundet, oder sie mochte mich. Ich war irgendwie immer noch Kind. Alle Jungs waren in meinen damaligen Augen, irgendwie blöd wie meine Brüder. 

Kurz vor den Sommerferien erzählte sie mir, dass sie mit ihrer Mutter zum Flughaben nach Strassbourg fährt, das sie ihre Großtante aus Kanada abholen würden, die seit Jahren ausgewandert ist und ihre Großeltern besucht. Sie bekam dafür sogar einen Tag schulfrei.

Nach dem Abendbrot schaltete Oma immer den Fenseher an. Die Abendnachrichten ließ sie sich nicht entgehen. Die Welt hätte untergehen können und Oma würde noch immer vor der Glotze auf ihrem chaiselongue(Furzpolster,nannte es Opa immer, da Oma ihm nie Platz darauf machte) liegen und "Ruhe!" in die Runde rufen, damit sie ungestört die Nachrichten sehen konnte. Ab und zu ließ sie einen richtigen Furz ab, was Opa fast zur Weißglut brachte. 
Geräusche wie Schmatzen, Schlürfen, Furzen machten ihn wütend. "Wer seinen Körper nicht im Griff hat...ist eine Sau!" konterte er.

Die Nachrichtensprecherin brüllte aus der Flimmerkiste dass ein Citroën in einen Tanklaster gerast ist und zwei Menschen ums Leben kamen.

Damals gab es MP3 Player und ich war damit beschäftigt und sah nicht hin, obwohl Oma meinte dass Nachrichten wichtig wären, damit man weiß was in der Welt passiert.  Danach ging ich auf mein Zimmer und ballerte die Mohrhühner am PC ab, was Opa nicht gut fand, denn wer ballern will, sollte in den Krieg ziehen, war seine Meinung dazu. 

Der zitronengelbe Citroën blieb mir lange vor Augen. Der Klassenlehrer kam in die Klasse und legte ein leeren weißes DIN A4 Blatt auf ihren Platz. Die ganze Klasse wunderte sich, aber niemand sagte etwas. Die meisten erwarteten einen einen Mathetest. Aber der blieb aus. Trauertag. Der Lehrer war selbst Vater und was ihn ihm vorging, zeigte er der Klasse mit seinem Schweigen.

Dann stellte er sich vor die Klasse und erzählte uns von Valérie, dass sie einen tödlichen Unfall hatte. Ihre Mutter starb zwei Tage danach. 

"Wer beten möchte, kann es in Gedanken tun." sagte er und setzte sich an seinen Tisch und schwieg. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Niemand hustete, schniefte, niemand ließ den Stift fallen. Alle saßen da wie leblose Puppen.

Die ganze Schulklasse, Schüler aus anderen Klassen, Kinder aus der Nachbarschaft  waren bei der Beerdigung dabei. Ich saß bei der Trauerfeier mit Schülern aus unserer Klasse ganz hinten, wo für uns reserviert war und sah auf die drei Särge. Ihrer war weiß.

Anschließend fuhren wir mit dem Bus nach Hause.

"War es eine schöne Beerdigung? fragte Oma.

"Eine Beerdigung ist nie schön. Was soll daran schön sein? Es liegen da Tote die beweint werden." Ich ging die Treppe hoch zu meinem Kinderzimmer. Ich musste an Fabians Zimmer vorbei gehen und hörte ihn schluchzen. 

"Ist alles in Ordnung?" rief ich und klopfte an die Tür. "Kann ich rein kommen?"

Er murmelte ein "Hmm...ja". Er saß an seinem Schreibtisch und wollte seine Hausaufgaben machen und hörte 




aus Asterix und Obelix und wir weinten beide.
"Sie war in dich verliebt" schniefte ich.
"Sie war um einen ganzen Kopf größer als ich. Sie war süss." sagte er leise. "Oh geh jetzt raus.....verzieh dich hier" schrie er. "Raaaaauuuus!"
Ich huschte aus dem Zimmer und dachte lange nach. Sie hatte noch so viel Leben ......
Ich verstand....es gibt Dinge im Leben, mit denen wir noch umzugehen lernen müssen. Liebe mit ihren Facetten, Formen und Arten und Tod und Endlickeit....der Code aus Buchstaben und Ziffern auf dem Totenschein....der unklare Himmel.....und das fühlende Nichts wie ein Krater im Herzen.


Cycle: Musik in der Stille

ein neuer Morgen

Sonntag-Bereitschaftsdienst im Krankenhaus. Keine Pflicht, aber man sollte sich verpflichtend fühlen. Die meisten Fachärzte machen das auch und man hat auch Vorteile.

Der Handywecker klingelte um 06:00 Uhr.  Ich duschte, trank zwei Espresso und legte mir alles parat um bei Anruf gleich loszustarten. Ich hoffte, dass man ohne mich auskommt, aber Pustekuchen. Um  08:17 klingelte mein Handy. Ich sprang vom Frühstückstisch auf, zog mich um und schon war ich auf dem Weg zur Klinik.

Mich erwarteten, was sonst, eine Hüftpfannenfraktur, 2 OP  und noch ein paar Patienten die untersucht werden mussten. Vom Tag blieb viel in meinen Gedanken und auch in meinem Herzen.

Der Patient ein betagter Mann, mitte 83 Jahre alt, dement, sah mir in die Augen. Seine Augen hatten die Farbe eines stillen Meeres im Sonnenlicht. Er hatte ein Lächeln über das ganze Gesicht. Sogar seine Augen lächelten. Teilweise war er logisch und konnte gezielt Fragen beantworten und teilweise wehrte er sich wie ein kleines Kind gegen jeden und alles. 

Schwiegertochter und Sohn begleiteten ihn. Er sei vor zwei Tagen aus dem Bett gefallen und hätte starke Schmerzen. Er wäre aggressiv, würde beissen und kratzen, so die Schwiegertochter. Er würde niemanden an sich heran lassen. Würde die ganze Nacht herumschreien. Sein Bein wäre anders. Der Notarzt hätte ihn dann ins Krankenhaus eingewiesen.

Der Patient lächelte mich immer noch an und seine Augen waren so hoffnungsvoll auf mich gerichtet, als würde er erwarten, dass ich sage, wie Oma das immer gesagt hat. "bis Morgen früh ist alles weg."

Ich musste ihn untersuchen und bat die Schwestern in der Notaufnahme ihm erstmals die Windeln zu entfernen und waschen, damit ich ihn untersuchen kann und damit er so schnell wie möglich Röntgen und CT bekommt. Er schrie vor Schmerzen auf. Ich redete auf ihn ein, dass wir die Untersuchung gleich beenden würden, dass die Schmerzen bald weg wären. Erstmals schlafen....Als er noch eine Dosis Schmerzmittel bekam, konnte ich ihn untersuchen und er war wieder logisch.

Er schloss die Augen und murmelte "erstmals schlafen...."

Ich wollte mich vom Patienten verabschieden, denn wenn die Diagnose durch CT und Röntgen bestätigt wird, wird er in den OP gefahren und bekommt ein Hüft-TEP eingesetzt und das machen die Orthopäden, da nahm er meine Hand und drückte sie fest. "Ich komm wieder zu dir." sagte er und lächelte mich mit seinem vom Alter verfärbten aber gut erhaltenen Zähnen an. Er hatte so viel Hoffnung.....und er winkte mir zu als er den Flur entlang zum Röntgen gefahren wurde. Er klagte nicht über Schmerzen, er redete kein wirres Zeug, er war nicht aggressiv und hätte keine Schmerzmittel genommen. Der Notarzt hatte ihm etwas gespritzt obwohl der Patient palliativ behandelt wird und sogar eine Patientenverfügung hätte.

Ich musste mich zusammenreißen um die beiden nicht anzubrüllen. Ich wollte fragen ob er dann wie ein Tier leiden sollte bis .....zum Ende...aber dann .....sie wollten wissen wie es nach der OP weiter gehen wird. 

Ich erklärte ihnen den Ablauf und der riesengroße Unterschied zwischen Notfallmedizin und Palliativmedizin. Das was der Mann notariell festgelegt hat und das was jetzt für ihn getan werden muss. 

Während ich anschließend auf dem Weg zu einer mir zugeteilten OP war, begegnete ich dem alten Mann erneut. Er erkannte mich und winkte mir zu...."he he Mademoiselle warten sie!" Ich ging zu ihm wünschte ihm und dem OP-Team viel, ganz viel Glück  "Bis Morgen" rief er und warf mir eine Kusshand zu. Ich winkte ihm und verschwand im OP.

Auf was hoffte er? Immer  wieder auf einen neuen Tag, auf seinen neuen Morgen....immer wieder... 

Eine Frau mittleren Alters mit einer entzündeten Gallenblase. Ein Teenager der sich mit einem defekten  Skateboard eine Tibiafraktur zugezogen hat.

Ein Mann mittleren Alters mit viel zu hohem RR  der sich durch einen Sturz an der Augenbraue verletzte und genäht werden musste.

Ein OP-Leiter der mir die trotz allem.....nun ja....seine Hand auf meine Schulter legte und sich für meinen Einsatz bedankte. Das ist nicht selbstverständlich. 


"Ich möchte mich mehr mit Palliativmedizin auseinandersetzen. Ich möchte mich darauf spezialisieren. Was sagst du dazu?" fragte ich Lars. Seine Meinung ist mir wichtig.

"Ich unterstütze dich. Ich schließe mich an." Nächste Woche registrieren wir uns und reservieren uns
Seminarplätze. 

Es gibt Menschen die inspirieren. Und wenn man solchen Menschen begegnet sollte man dankbar sein.....Gott, dem Universum oder sogar diesen Menschen.

Ich denke der alte Mann ist sehr gut bei seinen Lieben aufgehoben und er wird weiterhin auf einen neuen Morgen hoffen.

Demenz wird sehr demonisiert. Man sollte versuchen ihr gegensteuern. Man sollte nicht gleich erschrecken wenn das Kind im alten Menschen sich zeigt. Das ist der Kreislauf der Natur der sich schließt. Der Mensch wird zum hilflosen alten Baby. Vielleicht messen sie die Zeit in Erinnerungen und nicht in Sekunden die der Uhrzeiger auf dem Ziffernblatt abläuft. 






Die andere Freundschaft


Ich war nicht in ihn verliebt. Wir arbeiteten zusammen. Man kam auf die Idee mich in sein Team zu stecken. Ich war die Neue. 
Er stellte mich dem Team vor. Alle musterten mich von oben bis unten. Nach ein paar Hürden, habe ich mich eingelebt.
Er und ich  konnten sehr gut zusammenarbeiten.
Wir freundeten uns an, verbrachten fast  unsere ganze Freizeit zusammen. Er half mir durch die letzten Hürden, durch die Dissertation und auch privat stand er mir zur Seite.
Er half mir einen Käufer für das Haus zu finden. Es mussten noch ein paar Bauschäden korrigiert werden. Obwohl er davon wenig Ahnung hatte, ging er meinem großen Bruder zur Hand und legte sich richtig ins Zeug, damit ich die Termine einhalten kann.
Als meine Albträume stärker wurden, erzählte ich ihm davon. Wir begleiteten uns durch die Trauer.

Als der Verkaufstermin feststand,  suchte ich mir mit den Mädels eine gemeinsame Wohnung. Er half mir beim Suchen, beim Umzug und bei allen anstehenden Formalitäten. Als die Scheidung endlich rechtskräftig wurde, war ich erleichtert.
Mein Ex versuchte noch etwas Geld einzuklagen, da wir keinen Gütertrennungsvertrag hatten. Lars verhandelte mit ihm und einem befreundeten Anwalt und es kostete mich 5000,-€ für 7 Monate Ehe.

Meine große Nichte, verarbeitete die Trauerphase auf ihre Art. Sie schwänzte die Schule, zog zu ihrer Mutter, stritt sich mit deren Partner, wollte mich ncht sehen.
Die Kleine klammerte sich an mich und hatte immer Angst ich würde nach dem Dienst nicht mehr nach Hause kommen.

Auch in dieser Phase war Lars bei mir. 

Als mein großer Bruder fragte "Was seid ihr? Ist er dein Neuer?"
Ich habe mir diese Frage nie gestellt. Ich konnte sie nicht beantworten.

Das freie Wochenende nahte und als er mich zu einer Wanderung einlud, nahm ich die Einladung an. Ich wollte diesen wunderschönen Ausflug nicht mit irgendwelchen Fragen verderben. Also schwieg ich.
Wir machten ein Picknick und anschließend lagen wir nebeneinander im Gras.
" Wie geht es mit uns weiter?" fragte er in die Stille.
Auch wenn es eine zu erwartende Frage war, erschrak ich. Ich setze mich auf und sah ihn an. "Sag du es mir!" antwortete ich, aber meine Gedanken rasten durch meinen Kopf, mein Herz raste, so dass ich meinen Herzschlag sogar in den Stimmbändern fühlen konnte. "Was wenn er beenden wollte? Was wenn er mich zwar als Freundin mag, aber mich als Frau nicht sah? Würde er mich begehren, hätte er mich anders geküsst, als nur freundschaftlich." rannten meine Gedanken.
Er sah mich an. Dann näherte er sich mir und küsste mich sehr sanft, fast hauchzart. Er sah mich an. Er schloss  die Augen nicht während des Kusses. Er ließ mich nicht allein mit dem Kuss und er ließ mich nicht allein nach dem Kuss. Er sah mich an. Er sah mir in die Augen.
"Du hast goldfarbene Pünktchen in den Augen." stellte er fest und wir küssten uns immer wieder.
"Ich schlage vor...." seine Stimme klang rau. "...wir machen so weiter.....ich meine .....wir hatten lange Zeit uns kennenzulernen.....ich weiß nicht du...aber ich liebe dich."
Ich liebte ihn. Ich fühlte es.Es zeigte sich oft im Vermissen, ich fühlte mich geborgen wenn er da war.
"Du weißt was du dir hier aufhalst. Ich bin geschieden. Und dein Gott den du im Morgen-und Abendgebet fröhnst duldet keine Scheidung. Ich weiß gar nicht ob ich überhaupt beziehungstauglich bin. Wir sind grundverschieden. Es sind alles Dinge die zum Streitpunkt werden könnten."
"Ja bestimmt......!" lachte er.
Wir küssten uns immer wieder und jeder Kuss war besonders und anders liebevoll.
Wir fuhren nach Hause. "Tee oder Kaffee?" fragte ich.
Und er lachte los.
"Was?" fragte ich.
Er lachte weiter. "Nichts!"
"Danke fürs Heimbringen. Tschüss! Sagt man das hier so?" ich wat total verunsichert. "Was denkt jetzt er über mich? "
"Aber ja, ich meinte natürlich Kaffee oder Tee," rechtfertigte ich mich.
"Aber ja." er lächelte.
Das Eigentliche.... ich habe es gefunden.....eine unbeschreibliche Innigkeit, ein inneres Kennen, ein Herzkennen, ein gegenseitiges Fallenlassen können...wir waren nicht nur Körper, wir waren Seele, obwohl unsere Körper sich gar nicht kannten, harmonierten sie. Wir waren mehr als was wir sein wollten. 
Für einen Moment fühlte ich mich unwohl, beschämt. Meine Haut brannte. Ich schloss für einen Moment die Augen.
"Ich eine firsch geschiedene Frau, er immer noch mein Vorgesetzter. Was ist wenn er, nachdem er erreicht hatte was er wollte, nichts mehr mit mir zu tun haben möchte." dachte ich. 
Als ich gerade in die Umrandungen meines Alltags zurückkehren wollte, zog  er mich fest an sich. Ich versteckte mein Gesicht in seine Armkuhle. Seine Berührungen waren zärtlich, verständig und kühlten meine Haut. Er schmeckte nach Milchkaffee und Lust und nach Duschgel mit Zitrone oder Limone.

"Ich bleibe hier bei dir!" stellte er fest. "Es fühlt sich hier an wie ein Nest." 

Ich befreite meinen Strubbelkopf  aus dem Achselnest und hätte ihn am liebsten weggeküsst. Wenn ich mich irgendwo wohl fühle bin ich witzig, euphorisch, unkontrolliert. Das war für ihn nichts Neues. 
"Aber ja, kein Schnarchen, kein Furzen und kein Schmatzen. Und kein nasses Handtuch egal wo!" 
Er lachte schallend auf, wie ich immer lachte, wenn jemand im OP laut furzte. 
Ich erzählte ihm wie ich im OP einen Lachanfall hatte, weil ein Kollege so richtig laut geknallt hatte und der OP-Leiter mich aus dem OP geschmissen hatte, weil ich mich kaum sammeln konnte vor Lachen.
Wir lachten und drückten einander. Seine Arme waren die Verkörperung von Geborgenheit.
Wir waren urplötzlich Liebende.
Weil er sich bei mir wohl fühlte, war er mehr bei mir als bei sich zu Hause. nach drei Monaten kündigte er seine Wohnung und zog bei mir ein.
Nachdem er seine Post und seine Gehaltsabrechnung auf c/o bekam, meinte er wir könnte da was ändern.
"Nach drei Monaten?" fragte ich. "Was wenn wir feststellen, dass wir uns nicht verstehen?" 
Ich bekam Panik
"Wir verstehen uns aber. Sieh mal, wir verstanden uns vom ersten Tag an im OP, wir verbrachten so viel Zeit miteinander, deine Nichten mögen mich, dein Teufelchen mag mich, dein Kater Maurice schläft bei mir und du magst mich. Und ich bin gut erzogen und bin reinlich. Alle Voraussetzungen sind vorhanden."
Er kramte in seiner Schublade und fand einen Schnürsenkel und legte ihn um unsere Handgelenke.







Entscheidungen

 


W
ir waren Kollegen, Freunde. Er begleitete mich durch eine nicht enden wollende Trauerphase. Ich wurde unerwartet Tante, Patentante, Babysitter und fühlte mich allein, obwohl ich meinen Bruder, eine gute Freundin und ihn um mich herum hatte. Ich fühlte mich nicht zu Hause und vermisste meine Oma, meine Maman und ich vermisste sogar meinen Vater. Ich wurde innerhalb von drei Jahren zum Weisenkind. Auch wenn man schon erwachsen ist, ist man verweist, wenn Eltern gehen. 

Er war humorvoll, intelligent und begeisterungsfähig. Irgendwann wurden wir Liebende. Wenn er nicht neben mir war, vermisste ich ihn. Wir schweißten irgendwie zusammen und waren unzertrennlich. Wir suchten uns eine gemeinsame Wohnung, denn ich hatte nur eine Studentenwohnung und die Vermieterin wollte nicht, dass  in einer Einzimmerwohnung  zwei Leute wohnen. Er wohnte noch bei seinen Eltern. 

Nahe der Universität fanden wir eine Zweizimmerwohnung zum Studentenpreis. Ich hatte plötzlich viele Nachbarn auf  vier Stockwerken  mit je drei Wohnungen verteilt und es war ziemlich laut für mich, da ich  im letzten Studienjahr sehr viel Nachtdienst hatte. Tagsüber machte ich den Haushalt, räumte seine Käsesocken, seine nassen Badetücher, seine Unterwäsche, die er überall verstreute,  in die Wäschetruhe. Ich kochte für ihn, putzte die Küche, räumte hinter ihm her, wie bei meiner kleinen Nichte. Oftmals warf ich ihm seine Wäsche hinterher.

"Wir lieben uns. Es spricht nichts dagegen, zu heiraten." sagte er eines Abend bevor ich zum Dienst musste. Ich war gedanklich schon im Dienst und da unsere Belegschaft immer unterbesetzt war, musste ich viele OP annehmen und schon leiten. Die Angst vor der Verantwortung lähmte mich zeitweise gedanklich.

"Aber ja, ist klar!" lache ich über seinen Vorschlag. 

So einen sachlichen Antrag habe ich mir gar nicht vorgestellt. Ich hatte mir überhaupt nie einen Heiratsantrag vorgestellt. Ich war immer der Meinung, ich liebte nicht genug, um zu heiraten.

Am nächsten Nachmittag lotzte er mich zum Goldschmied.

"Was sollen wir denn da? Ich möchte keinen Schmuck. Wann soll ich denn Schmuck tragen? Wir dürfen keinen Schmuck tragen." winkte ich ab und wollte gehen.

"Wir wollten doch heiraten!" rief er aus.

Ich lachte. "Dich heiraten? Oh meine Götter. Ich kann es mir gar nicht vorstellen. Du bist ein verwöhnter Chaot."

"Ich werde mich bessern!" versprach er.

Wir heirateten standesamtlich. Meine Brüder, meine Freundin, seine Mutter und seine Schwester waren dabei als wir uns das Jawort gaben. 

Oma schimpfte mit mir am Telefon über die Entscheidung. "Warum habe ich das Gefühl, dass du in dieser Trauertrotzphase falsche Entscheidungen triffst? Du hast deine Maman enttäuscht, als du deinem Bruder hinterher ranntest. Du kommst doch nie im Leben mehr hier her zurück. Du wendest dich von uns ab. Was willst du mit dem? Er ist zu uns abweisend. Der sieht aus wie ein zu groß gewachsenes Kommunionkind. Der nimmt dich gar nicht ernst. Du wirst noch an meine Worte denken. Du musst ihn doch nicht gleich heiraten."

Seine Mutter hatte alles organisiert und hatte in einem Restaurant Tische reserviert. Sie wollte ihrem Sohn etwas bieten können. 

Meine Melancholie verflog an diesem Abend auch nicht. Wir fuhren für zehn Tagen in die Bretagne. Wir genossen uns, wir genossen die maritime Landschaft. Dass Omi auf mich wütend war, belastete mich sehr. 

Der Alltag hatte uns schnell wieder im Griff. Socken lagen herum, Unterhosen und Hemden flogen ihm an den Schädel.  Ich konnte mit ihm schimpfen so oft ich wollte. Er besserte sich für ein paar Tage und dann ging das Chaos wieder los.

Ich lernte ununterbrochen für mein Examen. Er traf sich mit Freunden.

An allen Tagen meines Examens hatte er Dienst. Man bekommt nicht immer frei, wenn man wollte. Ich fuhr allein zum Examen.

Als ich mein Ergebnis abholte und ich ihn anrief, konnte er nicht an sein Handy, da er im OP stand.

Ich ging mit meiner Freundin in ein Bistro und wir aßen Tortellini und tranken Espresso und Cappucchino. Er antwortete nur auch eine Nachricht mit "Glückwunsch". Dann fuhr ich nach Hause.

"Wo warst du bis um 21:00 Uhr?" fragte er genervt.

"Mit Denise etwas essen und das Examen begießen." sagte ich selbstverständlich für mich.

"Ach und wer war noch da?" schrie er mich an.

"Niemand sonst? Wieso schreist du?" fragte ich erschrocken, weil ich diese Seite an ihm nicht kannte.

"Diese Nutte konnte mich nie leiden." schrie er weiter. "Ich möchte, dass du dich von ihr fernhältst. Sie hetzt dich gegen mich auf."

"Und du bleibst mit deinen Arsch jedes Wochenende an dem ich Dienst habe zu Hause! Und Denise ist meine beste Freundin hier. Du kannst deine Mama Nutte nennen, die dich so arrogant und faul erzogen hat." schrie ich.

Er sah mich mit aufgerissenen Augen an. Und ich hatte ein mulmiges Gefühl. Als hätte er irgendwo  einen Schalter den er an und aus machte.  Ich rannte ins Schlafzimmer. Er entschuldigte er sich für seinen Ausraster. Er würde sich bessern, er hätte Angst um mich. In mir zerbrach etwas. "Er kann brüllen wie ein Löwe. Wann wird er mich schlagen?" dachte ich.

Zur Krönung der Woche, bekam ich den Bescheid, dass nur drei vom ganzen Jahrgang übernommen werden konnten. Und ich war nicht unter ihnen. Denise zug es in eine BG-Klinik und dann nach Fulda.

Ich bewarb mich einen Tag später auch im Rheinland. Und ich wurde nach 10 Tagen angenommen. Ich war zurück in meinem Vaterhaus. Konnte mit dem Fahrrad zum Dienst radeln. 

Wir entschieden uns für eine Fernbeziehung, da er nicht ins Rheinland wollte. Damals glaubte ich er wollte nicht von seiner Familie weg. Seine Mutter klammerte sich an ihn wie eine Klette.

Wir besuchten uns an freien Wochenenden oder an freien Tagen. Irgendwann besuchte ich ihm mehr als er mich besuchte. Es war für mich auch in Ordnung. Ich räumte seine Sachen weg, kochte für ihn und fror Essen ein. Manchmal konnte ich nicht einmal übernachten, da ich am nächsten Tag Frühdienst hatte.

Kurz vor Ostern lud uns Omi ein. Ich nahm dafür zehn Tage Urlaub und fuhr allein zu Omi. Er bekam angeblich keinen Urlaub, obwohl die immer großzügig waren, und es kaum Urlaubsprerren gab. Sie war so enttäuscht von mir und sie war so traurig und weinte herzzerreissend um mich, um die ganze chaotische Situation. Während den Ostertagen traf ich mich mit meiner besten Freundin und mit meinem besten Kumpel und Freund aus Kindertagen. Beide konnten es nicht fassen, dass ich geheiratet habe. Sie wünschten mir viel Glück, aber sie hatten damit nicht gerechnet, da ich sehr an meiner Unabhängigkeit hing.

Ich fuhr nach den Osterfeiertagen zurück und fuhr bei ihm vorbei.

"Du brauchst nicht zu kommen, ich bin nicht zu Hause. Habe Dienst." schrieb er.

Ich fuhr trotzdem hin. Wollte ihm ein paar Geschenke zukommen lassen die meine beiden Tanten und mein großer Bruder mitgegeben hatten. Zuvor traf ich mich mit Denise, da sie mir dringend etwas zu erzählen hatte.

"Schnell!" schrieb sie.

"Im Café zu Da..... werde um ca. 16:00 da sein." schrieb ich und fuhr weiter. Ich sah sein Auto auf dem Parkplatz und dachte mir er wollte mich überraschen. Vielleicht hatte Denise ihm geschrieben, dass wir uns treffen würden, oder er überrascht mich, wie er es immer tat, wenn wir us gestritten haben. Charme hatte er jede Menge, wenn es um seine Vorteile ging.

Ich trat ein und sah Denise mir zuwinken.

"Dreh dich nicht um!" flüsterte sie. Und ich drehte mich reflexartig um, um meinen Mantel auf den Stuhl zu hängen.

Da entdeckte ich ihn mit einer Assistenzärztin die wir beide kannten. Sie wirkten verliebt und waren vertrauter miteinander, als wir es zusammen waren. Sie küssten sich immer wieder, lachten miteinander und fütterten sich gegenseitig. Er sah uns erschrocken an.

Ich musste mich an der Stuhllehne festhalten, denn ich hörte nichts, sah nichts und mir war so übel, dass ich an einen Herzinfarkt dachte. Denise sprang auf und hielt mich fest. Als ich mich gesammelt hatte, was nur einen gefühlten Bruchteil von Sekunden dauerte,  rannte ich raus. Denise rannte mir hinterher und hielt mich fest. Ich legte meinen  gedankenleeren Kopf an ihre Schulter und saß da als wäre ich verstummt.  Ich konnte nicht einmal weinen oder einen klaren Gedanken fassen. Mein Hals war wie zugeschnürt.

Ich drehte mich um und sah ihn vor mir.

"Es ist nicht so wie es aussieht," stammelte er.

Ich schubste ihn weg. " Lassen wir das Ganze. Es würde nur zu einem Eclat führen. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich scheiß auf dein Herz. In meinem Leben hast du keinen Platz mehr." sagte ich wütend.

Er wollte mich umarmen und ich wich zurück. 

"Ich schicke dir die Scheidungsunterlagen zu!" sagte ich leise. "Komm keinen Schritt näher!" 

"Warte doch bitte! Du hattest nur noch dein Examen im Kopf. Ich war Luft für dich!" schrie er mir hinterher.

"Ich war trotzdem immer da. Du aber nicht. Du brauchst ein Kindermädchen und ein Sexobjekt. Mit Frauen kommst du nicht klar." 

Ich fuhr zu Denise. Sie wohnte im gleichen Haus wie ihre Eltern. Ihre Mutter kochte für uns Tee und lud mich zum Abendbrot ein. Wir redeten. Ich weinte immer wieder. Ihre Mutter meinte ich sollte so nicht Auto fahren. Ich schämte mich so, dass fremde Menschen von meinem Scheitern wussten. 

Dann rief ich meinen Zwillingsbruder an und erzählte ihm von der Scheidung.

"Sieben Monate Ehe. Du schaffst es einem zu überraschen. Ernsthaft oder Witz?  Ich muss mich setzen." sagte er überrascht. Er kämpfte mit einer Endocarditis und hatte heftige rheumatische Fieberschübe. Und ich lasse mich scheiden. Was für ein Leben haben die Götter uns beschert. "Ich fasse es nicht! Ihr habt uns alle mit eurer Spontanheirat überrascht. Ich hätte dem Chaoten das nicht zugetraut. Der Milchbubi könnte nicht einmal ein Wässerchen trüben und lässt sich von dir wie ein Schoßhündchen dominieren, dachte ich. Dass er so ein Draufgänger ist.....könnte es sein, dass du aus Eifersucht rot gesehen hast?" Er atmete schwer. Seine Kraflosigkeit war so fühlbar, so hörbar. 

"Aber ja, ich sehe rot.  Du verdammtes Arschgesicht. Immer sind wir Frauen für das Schietern verantwortlich.  Denise hat viel mehr gesehen als ich.  Es ging schon seit ein paar Monaten so. Was rede ich mit dir eigentlich über mich? Ich ziehe wieder ins Haus."  

Denise holte meine Sachen ab und lagerte sie bei sich ein.

"Ich werde die Scheidungsunterlagen nicht unterschreiben. Ich lass mir von dir meinen Arbeitsplatz nicht kaputt machen." schrieb er. Wir korrespondierten nur über unsere Anwälte. 

Er weigerte sich 17 Monate lang sie nicht zu unterschreiben. 

"Ich flirte auf Teufel komm raus," erzählte ich Denise.

"Lass das!  Was wenn du an den Falschen gerätst? Es ist nicht deine Art. Nach drei Jahren werdet ihr automatisch geschieden. Und höre auf, dich selbst zu zerstören. Was soll die Rache? Du solltest dich nicht selbst erniedrigen, wegen ihm. Er ist es nicht wert" redete sie auf mich ein. Ich liebte ihn nicht mehr, ich hasste ihn nicht. Er war mir egal. Wie ein fremder Mensch der mir aus Versehen auf die Zehen treten würde, Es tat kurz weh. Pustekuchen: ich stand unter Schock.

Das Emotionale war im Schockzustand.

Ab und zu besuchte sie mich im Rheinland und ich sie. Wir verbrachten noch einmal einen Urlaub miteinander. Wir flirteten harmlos mit Männern, wir tanzten und wanderten in der Natur, gingen zum Strand, sie fing sich einen Sonnenbrand ein und ich sammelte jede Menge Muscheln. Wir machten Segelbootfahren, Schifffahrten, wanderten zu den Klippen. Ich funktionierte als hätte man mich aufgedreht. Abends warf ich die auf Papier gekritzelten Telefonnummern oder Visitenkarten weg. Es gab keine Bettgeschichten. Nachts weinte ich mich in den Schlaf. 

Und dann sah sie meine Abartigkeit in einem sozialen Netzwerk.

"Lass das doch sein. Es ist nicht fair, das was du gerade tust. Wieso willst ihm noch eines auswischen. Die Scheidung reicht allemal. Alles andere ist selbstzerstörend. Damit tust du ihm nicht weh. Er liebt niemanden außer sich selbst. "

"Ich werde mich nie mehr verlieben. Ich spiele nur noch mit den Kerlen."

"Ich verstehe deine Wut, ich verstehe deine Traurigkeit und ich verstehe, dass es dir peinlich ist, bald eine geschiedene Frau zu sein. Du hast nichts falsch gemacht. Er hat dich betrogen. Und ich sehe ihn oft mit anderen Frauen. Aber ich verstehe diese Reaktion nicht. Du bist kein rachsüchtiger Mensch. Du bist keine Egoistin. Wieso rastest du dermaßen aus? Schließe mit ihm ab und gut ist."

Ich nickte nur. Sie erreichte mich nicht.

"Und was ist, wenn sich ein Mann in dich verliebt? Wenn es ihm ernst ist, wir er mehr wollen. Wie erklärst du ihm das Fiasko dann?"

"Ich flirte und es wird sich daraus nichts entwickeln." rechtfertigte ich mich. "Ich pass auf mich auf."

  "Hör doch auf! Er kann nichts für deine gescheiterte Ehe. Geh zurück zu deiner Familie. Deine Familie beschützt und begleitet dich durch diese Zeit und es ist keine Selbstverständlichkeit."

Aber ich setzte alles auf eine Karte. 

Nach einiger Zeit lernte ich sogar jemanden kennen. Wir schrieben uns anfangs. Ich hatte anfangs noch die Kraft mich zurückzuziehen. Und als die Scheidungsunterlagen noch einmal ohne seine Unterschrift zurückkamen, tickte ich ganz aus.

Ich wollte von diesem Menschen der vor meinen Augen eine andere Frau küsste und sich so hingab, als würde er sie länger kennen als mich, nur noch die Scheidung. Sein Arbeitgeber war ein kirchlicher Träger und ein Scheidung wäre ein Kündigungsgrund. Deshalb unterschrieb er nicht.

Es war wie ein Kurzschluss. Es war weder Rache noch Liebe, noch Hass, Es war mein innerer Tod. 

Ich war eine Frau die man weggeworfen hatte. Zu melancholisch, zu kindisch, zu winzig. Ich war weder blond, noch hatte ich lange Beine, Körbchengröße C oder D. Ich schminkte mich nicht einmal. Sogar gegen bisschen make up war ich allergisch. Ich war Wildwuchs. Er hatte keinen typischen Frauentyp. Und er lachte sich immer wieder andere Frauen an. Keine blieb. Und dann  versuchte er mich immer wieder umzustimmen. Ich sollte doch zu ihm zurückkommen. 

Ich reagierte zuletzt gar nicht mehr auf seine Nachrichten. Nun ja. Oftmals frage ich mich, wieso konnte es so weit kommen. liebte ich zu wenig,  wieso konnte ich so zusammenbrechen, dass von meinem Ich nichts mehr übrig blieb. Begann es als Vater  ging, oder als Manam ging? Gab der Kuss im Café mir den Todesstoß?  

Ich legte mit dem Flirten erst los.

"Spinnst du!" fragte mich Denise. "Also, was willst du mit der Tusse? Du siehst doch viel besser aus, Sie mal deine Haaren. Ich würde sofort meine dünnen Zotteln mit dir tauschen. Und deine feinen kleinen Hände. Die Kerle sehen dir hinterher und bestimmt wird es dem einen oder anderen scheissegal sein, ob deine Scheidung durch ist oder nicht. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Würde ich auf Frauen stehen, ich würde dich sofort an mich ketten. Du erreichst so viel, wenn du dich wieder einkriegst." redete Denise auf mich ein. Sie erreichte mich nicht im Kern.

Ich setze sogar ihre Freundschaft aufs Spiel. 

Und als er mir wieder schrieb zog ich mich nicht mehr zurück.

Anfangs flirtete ich noch etwas an der Oberfäche. 

Oma ging es zu dem Zeitpunkt nicht gut und ich verbrachte meinen nächsten Osternurlaub bei ihr. Wir redeten über meine Zukunft. "Komm  zurück. Du gehörst hierher. Ich entschied mich gegen sie.

Ich hatte eine gute Stelle im Rheinland und meinem Bruder ging es gesundheitlich immer schlechter. Es gab Tage da konnte er nur wenige Schritte gehen und dann ging es ihm kurzfristig besser. Er war verliebt, er wurde geliebt und das stärkte ihn ein wenig. Wir gaben uns gegenseitig Halt. Ab und zu machte ich seinen Haushalt mit, befreundete mich mit seiner neuen Freundin. Versorgte die Mädels. Er wusste nichts von meinen abartigen Eskapaden im sozialen Netzwerk. Wir redeten nicht über unser Intimleben. 

Erst viel zu spät, als ihn jemand darauf aufmerksam machte, versuchte er nachzuhaken und es kam zum riesengroßen Streit zwischen uns. Wir redeten nur noch wegen meinen Nichten.

Ich flirtete nicht mehr. Ich verliebte mich in diesen Menschen.  Ich verrannte mich immer mehr und verstrickte mich in Lügen. Niemand sollte mich kennen. Niemand sollte mich lieben. Ich will meinen Namen nicht nennen, ich will nicht über meine Scheidung sprechen. Für mich war es Versagen. Totalversagen. Herzversagen. Realitätsversagen. Ein Makel ist es, auf  Urkunden "Geschieden" zu sehen. 

Ich wollte ihm alles erzählen. Wie denn? "Ich habe dich belogen. Du kennst nur einen einzigen richtigen Vornamen. Nur mein Vater nannte mich bei diesem Vornamen, Ich sehe ganz anders aus. Ich habe Strubbelhaare und bin, erst wenn ich mich strecke 160cm groß. Ich bin verheiratet und somit eine Versagerin. Ich habe einen Herzfehler. Ich sehe körperlich aus wie eine schlacksige 16jährige. Auf Dauer wirst du auf mich herabsehen und dir jemand anderen suchen." 

"Er würde mich nicht verstehen. Er würde mich dafür all die Lügen hassen. Er hat alle Liebe der Welt verdient, aber ich ihn nicht annähernd. Er würde mir nie im Leben mehr vertrauen. Und keine noch so große und tiefe Liebe wird das tragen können. Und wenn er mich nehmen würde, irgendwann würde er mich verprügeln oder sogar töten wollen für die Lüge für die Zeit und für die Liebe zu ihm, an die er gar nicht glauben würde.


Ich liebte ihn so tief, so intensiv, wie ich noch nie geliebt habe, ich vermisste ihn jeden Augenblick, ich wünschte ihn bei mir - wie kann man das in so einem Zustand so intensiv fühlen......das frage ich mich oft. Wieso konnte ich dann so abartig sein? Aus Angst vor ihm? Aus Verlustangst? 


Denise distanzierte sich immer mehr von mir. Sie fand es total krank. 

"Du hast eine fette Depression! Ich sehe dir nicht beim Untergang zu."

Danach beendete sie die Freundschaft mit den Worten: "Ich lasse mich nicht auf so eine Freundschaft ein. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. "

Aber ich war emotionsblind und machte mich auf den Weg zu etwas was ich zutiefst verabscheue. Ich log weiter. 

Dann wurde es real und mir wurde klar: mich hat eine abartige verfluchte Deppression erwischt und ich muss da raus.

Hinzu kam die Verlustangst. Ich rannte vor mir selbst weg. Unfähig mich in jemanden hineinzuversetzen. 

Auf den größten Haufen scheisst der Teufel noch einmal drauf. mein Zwillingsbruder hinterließ mir die Mädels und ging ohne dass wir uns versöhnt haben. Und ich stand da mit eimem kleinen traurigen Mädchen, mit einem pubertierenden Mädchen, das damals schon einen Kopf größer war als ich und mit einem umbaureifen Haus und seine Exfrau wollte Geld, war ihr als Erbteil zustand. 

Ich war das was ich wollte: allein sein.

Ich hatte Verantwortung und Verpflichtung. Die Mädels wurden mir in die Arme gelegt, wie bei ihrer Taufe. Also hatte ich mich zusammenzureißen.

Ich bekam einen Kollegen als Freund. Wir trauerten gemeinsam. Er um seine Tochter und ich um alles und alle die mir nahe waren. Ich erzählte ihm meine Eskapaden und ließ nichts aus. "Ich weiß wie du wirklich bist. Das ist eine gute Basis für Alles." sagte er nach langem Schweigen.

Wir verliebten uns ineinander und jeder schüttelte nur den Kopf über uns. Die Scheidung war durch und rechtskräftig. 

Ich bekam von allen Seiten gezielte Hilfe. Die meiste Hilfe bekam ich von Lars und von den Mädels. Denise meldete sich ab und zu und wir trafen uns öfter. Die Liebe zu Lars begann langsam. Zuerst wurden wir Freunde. Ich liebe ihn auf eine leise Art. Er ist ein leiser Mensch. Ich bin ein leiser Mensch. Er liebt mich auf seine Art. 

Die Schwangerschaft rüttelte mich wach. Ich übernahm jede Menge Verantwortung, arbeitete viel und wollte weiterkommen.

Ab und zu dachte ich noch an den Menschen den ich zum ersten Mal innig und tief liebte. Ab und zu laß ich in seinem Blog. Ich wollte nur wissen wie es ihm geht, was mit seiner Nierenerkrankung sei. Und wenn er über seine Schmerzen schrieb, weinte ich mit ihm. Dann stellte er sein Blog auf Privat. 

Ein guter Schritt, so konnte ich ihn ganz loslassen. 

Ich erinnere mich als ich ihm ein Märchen von einem Tannenbaum vorlas als er Schmerzen hatte, dass ich für mein Patenkind Fabienne geschrieben habe als sie klein war.

Ab und zu denke ich  ihn sporadisch und denke schnell wieder weg. Ein Restschmerz ist immer noch da. Es schmerzt mich immer noch diesem Menschen sehr weh getan zu haben. Für ihn bin ich eine Lügnerin, sonst nichts. Er hat sich bestimmt wieder neu verliebt, oder ist vielleicht mit einer Frau sogar zusammengezogen. Ich denke immer weniger an ihn. Ich muss endlich damit abschließen. 

Ich denke ihn weg und versuche so mein damaliges  abartiges Verhalten aus meinem Herzen zu entfernen. Aber es gehört zu meinem Leben. 

Als Zoé zwei Wochen zu früh geboren wurde, war ich überglücklich und hatte Angst um sie. Ich beobachtete ihr Atmung beim Schlafen, Ich rannte mit ihr zum Kardiologen, wir machten jede Menge Tests. Wir befürchteten beide eine Wochenbettdeppression, aber anhand der Familieanamnese gab es viele Gründe besorgt zu sein. Wir konnten aufatmen, denn sie war ein gesundes Kind und entwickelte sich sehr gut.

Ich arbeitete und er nahm sich Elternzeit. Es fühlte sich alles richtig an. Ich konnte mich auf ihn 100% verlassen.

Beruflich wurde es immer hektischer und es fielen immer mehr Überstunden an. Ich war körperlich  erschöpft. 

 Als Oma ging fragte mein Bruder René : "Und nun, was machen wir jetzt? Ich möchte hier nichts verkaufen, wofür alle hart gearbeitet haben."

"Ich brauche nichts von dir, keine Panik." sagte ich genervt. 

"Sei doch endlich mal vernünftig, darum geht es doch nicht. Dir liegt nichts an uns, aber lass uns eine Lösung fonden Ich muss auf euch zählen können."

Spontaner als ich, enschied sich Lars mit mir nach Hause zu ziehen. Und ich fragte ihn ob es sein voller Ernst sei. Und er sagte nur "Ja," so wie ich zu ihm "Ja" sagte. 

Der Umzug war hart. Er setzte sich mit den Angelegenheiten von den Mädels auseinander. Sachlich und diplomatisch. 

Wir gaben unsere allerletzte Party vor Corona und verabschiedeten uns.

Ich übernahm die Praxis von Maman. Als ich vorschlug, dass wir alles bis auf die Farbe unserer Unterwäsche, wie man hier zu sagen pflegt, zusammen entscheiden und keiner allein, war er gerührt.

Nils kam ungeplant und ich hatte nur ein wenig Angst um ihn, da er ganze vier Wochen zu früh auf die Welt kam und mitten in einer schwierigen Zeit.

"Wenn wir das einigermaßen hinkriegen, dann schaffen wir alles."  Er hatte endlich seinen Jungen. 

Ich bin wieder ich. Ich kann wieder spontan sein, fröhlich sein, fühle mich nicht eingeengt. Wenn ich mir Sorgen um die Praxis oder um meine Lieben, findet er immer eine Lösung.

Ich kann wieder durchschlafen und fühle mich zu Hause. 

Marie-Émilia


P.S. ich frage mich oftmals aus der Angst heraus: ob ich jedem weiteren Unglück gewachsen bin. Das ist meine Urangst. 

Weitermachen bedeutet meistens, etwas zurückzulassen. Was am meisten schmerzt, ist die Entfernung bis man nur noch einen Punkt sieht, oder man selbst ein Punkt wird. 









Wintergedanken im April

Als ich etwa vier Jahre alt war, brachte meine Maman mich und mein Bruder eines Tages in den Kindergarten. es war Winter und schneite. Ich erinnere mich an den kalten Wintermorgen und an die unzähligen dicken Schneeflocken die auf meinen dunkelblauen, etwas zu großen Wintermantel mit einer riesengroßen Kaputze fielen.

104 ist die normale Kleidergröße für vierjährige. Aber ich was zu klein für eine Vierjährige. Der Mantel war viel zu schwer für meine dünnen Knochen. Maman musste sich beeilen, da sie zum Dienst musste.

Und wenn sie in Eile war, sah das Morgenritual so aus. Mäntelchen an, Strickmütze gut über die Ohren, Kaputze über die Mütze gezogen. Stiefelchen mit Fell an, die schwer wie Felsbrocken an den Füßchen waren und ab durch die Mitte. Von den wolligen unaussprechlichen Einfingerhandschuhen ganz zu schweigen. Die immobilisierten meine Hände und Ärmchen gleich mit. Die Krönung war der Wollschal den ich um Mund und Hals gewickelt bekam. Ich konnte kaum durchatmen, mein Füßchem schmerzen vom 10 Minuten-Fußmarsch. Die Strickmütze bedeckte immer wieder meine Augen und Maman zog uns neben sich her.

Ich blieb vor Müdigkeit stehen. 

"Komm, du Süßes, gleich sind wir da. Nur noch ein paar Schritte. Die ein paar Schritte schienen sich endlos zu vermehren.

Im Kindergarten angekommen war ich hundemüde und die Haare waren nassgeschwitzt. Ich hatte rote Bäckchen wie Rotkäppchen und die Tante hatte eine schrille hohe Stimme. Die hätte am liebsten Opernsängerin werden sollen mit ihrer Sopranstimme.

"Möchtest du dich endlich auf deinen Platz setzen?" ermahnte mich die Erzieherin, da ich immer noch beschäftigt war meine Hausschuhe mit meinen kraftlosen Händchen anzuziehen. Klettverschlüsse könne für kleine Händchen zur Herausforderung werden.

Endlich saß ich am Tisch. Die Frühstücksrunde wartete auf  mich  tolpatschige Prinzessin.

"Es wird Milch getrunken und kein Wasser. Tee gibt es heute nicht." forderte mich die Miterzieherin auf. Zwei Erzieherinnen für 15 Kinder in der Gruppe und keine hatte Zeit Teewasser zuzubereiten.

"Auf was wartest du noch? Los, trinke deinen Becher leer.

Mein Zwillingsbruder schrie "die darf keine Milch trinken. Sie bekommt Bauchweh!"

"Sei Still!" rief die Sopanstimme.

Ich trank artig ca 200ml kalte H-Milch. Kaum hatte der Milchfluss die Magenschleuse erreicht, spuckte ich den ganzen weißen Fluss über meine Kleidung. 

"Sie hört nicht mehr auf mit spucken!" schrie die Sopranstimme.

Ich schrie und spuckte und hustete weil ich mich verschluckte. Dann lag ich da auf dem Teppich auf dem Fußboden und fror. Die Kindergarten kinder beugten sich über mich. Einige legten Spielzeug neben mich. 

Dann ging die Tür auf uns mein Vater brüllte los. "Wenn mit ihr etwas passiert, Gnade euch Gott!" Er hob mich hoch, forderte meinen Bruder auf seine Tasche zu mehmen. Er zog uns die Stiefelchen an, nahm unsere Mäntel und Mützen und setzte uns ins Auto.

Zu Hause legte er mich auf die Couch, zog mich aus und wickelte ein Badetuch um mich. Dann badete er uns, zog uns die Pyjama an und legte uns ins große Bett. Dann setzte er sich neben uns und sang uns ein Lied nach dem anderen.

Ich bekam große Augen und große Ohren und bekam den Mund nicht mehr zu. Ich lauschte. Kein Wort verstand ich. Es war Englisch.

Ich glühte fieberig. Mein Vater wusste sich zu helfen.  Er wickelte meine dünnen Beinchen in ein mit Apfelessig mit Wasser verdünnt getränktes Leinentuch und ein Badetuch. 

"Kaaalt! Es ist kaaalt!" schrie ich und wehrte mich gegen die Packung.

"Pass auf du kleiner Quälgeist. Du darft nicht krank werden. Also packen wir die Füsschen ein und legen ein Tüchlein auf deine Stirn und ich verspreche dir das Fieber wird verschwinden. Und dann? Was tun wir dann?" redete er auf mich ein, während er mich einwickelte.

"Weiss ich nicht!" wimmerte ich.

"Wir kaufen diese Äffchen. Wie heißen die denn?"

"Monchichi." krächste ich.

"Mon....auch egal, genau. Also die Wickel kühlen." 

"Power Ranger auch!" mein Zwillingsbruder lag artig neben mir und sah mich erwartungsvoll an.

"Was ist das denn? Ach egal, wir fragen im Geschäft danach. Wir kaufen die." versicherte er.

Wir wussten, dass es bei ihm entweder eine Zusage oder eine Absage sein wird. Ja und Nein und kein Dazwischen.

Durch den Tag erbrach ich mich noch einige Male und bekam Fieber. Mein Hals schmerzte und ich konne nicht einmal schlucken.

Als Maman nach Hause kam, untersuchte sie mich.  "Du hast aber eine heftige Mandelentzündung!" 

Mein Vater kramte alle Schimpfwörter aus für die Erzieherinnen.

Und wir hatten eine Woche jeden Tag super Vatermusik.

Darauf freuten wir uns beide. 

Mit Mühe fanden sie nach 4 Monaten für uns einen anderen Kindergartenplatz. Er hatte immer Angst um uns. Es könnte ja etwas passieren.

Mein großer Bruder durfte seine Hausaufgaben an dem Tag sogar ausfallen lassen.

Das war die wunderbare Seite meines Vaters.

Für diese Seite wurde er geliebt.

Für die Rotweinseite gefürchtet.

Er war ein Familienmensch durch und durch, aber ein kontrollsüchtiger, eifersüchtiger Mann für meine Mutter und in all seinen Beziehungen.


Oftmals frage ich mich, wieso ist man in der Liebe ganz anders, als im Leben? Wird in der Liebe diese Fragilität auf die Zerreissprobe gestellt? Sei stark oder reiße? Gibt man vorher kampflos auf, weil man den logischen Sinn darin nicht sieht?

Rotwein machte meinen Vater unberechenbar. Und ich mag keine rotweintrinkenden Menschen um mich herum. 





Folk und Rock und Herzmusik und Vermissen

Meine Eltern hörten viel Musik. Meistens hörten sie Folk oder Rock. Mein Vater, hätte ihm der Rotwein nicht so gut gemundet, was auch zu seinen Aggressionen führte, wäre er ein sanfter musischer Mensch gewesen. Er sammelte Uhren, Modellautos und reparierte ganz alte Radios. Allein aus Nostalgie zu den Radios und Tonbändern. 

Maman hatte jede Menge Kasetten, CD, DVD. Alle schön alphatetisch sortiert. Mit Rock und Folk wuchs ich auf.

Die 80 er sollten die besten Musikjahre gewesen sein, schwärmte Mama. Ich wurde in den 80 ern geboren und erinnere mich vage an die 90 ern. Erst so mit 10 Jahren begeisterte ich mich auch Folk und Rock  und die ganzen Melange aus Rock und Folk. 

Maman erzählte mir, wie mein Vater die Kasette mit Meat Loaf -Songs in den Rekorder legte, volles Volumen aufdrehte und abwechselnd mit mir und meinem Bruder durch das Wohnzimmer tanzte.

Wir hatten im ersten Lebensjahr zwei mal Lungenentündung, bei ihm und bei mir wurde eine bicuspidale Herzklappe diagnostiziert. Wir aßen schlecht. Nach ein Schlückchen Milch lagen wir verschwitzt und apathisch da und wimmerten. Dann erbrachen wir alles was wir getrunken haben. Nachts brüllten wir, weil wir schlaflose "Scheißhaufen" waren, wie mein Vater uns nannte wenn wir das ganze Haus wach hielten.

"Ich kann diese Scheißhaufen nicht mehr schreien hören," schrie er und drehte die Musik auf.

Und plötzlich schliefen wir wie Engelchen. 

Von da an schliefen wir mit Hintergrundmusik. Mit zwei Jahren schliefen wir erst durch. Wir hörten keine Kinderlieder. Wir hörten Rock und Folk. Und erst ab dem zweiten Lebensjahr konnte er mit uns viel anfangen. Dann war er mit Herz und Logik Vater. Er begeisterte uns mit der Natur. Trotz dass er älter war, war er körperlich dermaßen fit und wir wanderten kilometerweit durch die Natur. Dann machten wir Rast und aßen belegte Brote und Obst. "Wir setzen uns bei Essen." sagte er immer. "Wie ieht es aus wenn wir fressend herumrennen." 

Mein Vater konnte gut tanzen. Er konnte richtig toll führen. Ich fragte ihn einmal: "wie tanzt man das?"

"Mit Händen und Füßen und mit dem ganzen Körper." sagte er und ich sah ihn unverständlich an und hörte seine Ironie und seinen Sarkasmus heraus. Und er hatte einen erniedrigenden Wortschatz, wenn er etwas nicht mochte. Und er mochte fast niemanden und nichts.

"Bewege dich zur Musik, zum Takt. Dreh dich einfach nach Gehör und Gefühl. Wer nach Tanzschritten tanzt, der hopst nur wie eine Ziege oder ein Ziegenbock herum."

Mein Vater fand die Nadel im Heuhaufen, wenn er es auf jemanden abgesehen hatte. Keine Geste, kein Körperteil, keine Art wurde von seinen Ketzereien verschont. Meistens dann wenn er mehr als zwei Gläser Rotwein intus hatte. Er vertrug kaum Alkohol und ab und zu wollte er halt beweisen dass er trinkfest ist. War er nicht. 

Manchmal lachte über seine Vergleiche und manchmal fragte ich mich "wie kann er nur so gehässig sein?" 

Maman konnte ebenso super gut tanzen. Sie ließ kein Fest aus. Als es ihr gesundheitlich immer schlechter ging, vermisste sie das Tanzen. Und als es ihr gesundheitlich schlechter ging, konnte Vater mit ihr nichts mehr anfangen. Er machte keinen Hehl daraus vor uns oder vor ihr zu flirten. Und manche Frauen machten mit.

Erst als ich mit 19 Jahren bei ihm einzog lernte ich Omi Elke kennen. Eine sehr herzliche und natürliche Frau. Sie hatte er richtig gebrochen. Er war etwas ruhiger geworden und trank keinen Rotwein mehr. Er blühte so richtig auf. Irgendwie war er mir fremd. 

Er legte mir Regeln auf. 

"Lerne, oder es gibt Ärger!" und er erkundigte sich immer wie meine schulische Leistung ist, wie ich mich im Krankenhaus so anstelle. Er holte mich oft ab, damit ich nicht "auf dumme Gedanken komme."

Erstbals ich einen Uniplatz bekam und in eine andere Stadt zog, verstand ich mich mit ihm super. Dann war ich für ihn erwachsen und "eine kluge Frau." Dann lobte er mich überall.

Und wenn wir uns stritten sagte er immer "Was bist du nur eine Hexe, wie deine Mutter. Immer das letzte Wort. Schau nicht so böse..... zieh dich nicht an wie eine Flederhex' .....ist das Mode ober ist das dreckig......wenn du rauchen willst, tue es, aber nicht hier und ich will dich nie rauchen sehen....

Zurück zur Musik:

Ich tanze einfach wie es mir in den Sinn kommt und ich tanze gut, soweit es viele beurteilen. Nur ich mag aber keine Feste, auf denen man "sein Können und Wissen zeigen muss" um anerkannt zu werden. Die alten Weiber saßen rings um die Tanzflächen und schauten uns auf die Füße. Die akkurate Jury. Sie wussten wer sie wie bewegte, wer die schönsten Schuhe trug, wer das schönste Kleid anhatte. Sie nahmen auch die Männer unter die Lupe. Da sahen sie nicht nur auf die Tanzschritte, sondern auch wer den knackigsten Po hatte, die schönsten Schultern, den schönsten Anzug.

Ich stehe ungern im Mittelpunkt. Nur wenn es wirklich unvermeidbar ist, nehme ich an Veranstaltungen teil. Zum Tanzen muss ich überredet werden. Ich kann mich nicht immer davor drücken. 

Als wir den alten Schuppen neben dem Haus abrissen, habe ich erstmals die Kisten sortieren müssen. Mit der Zeit wurde aus einem Geräteschuppen ein Ablageort für Erinnerungen. Aus Bequemlichkeit oder aus Zeitgründen stellten wir alles darin ab, bis wir Zeit hatten es zu sortieren.

Danach stellten wir einige Kisten in die Garage. Die müssen nun alle weg, sonst artet es aus wie im Schuppen. 

Immer wenn ich Zeit habe, sortiere ich die eine oder andere Kiste. 

Ich sitze da vor einer Plastikkiste die mit "Maman" beschriftet ist, unfähig den Deckel abzunehmen. 

"Soll ich es für dich tun?" fragte Lars und ich nickte.

Jede Menge Kasetten, CD, DVD kamen zum Vorschein. 

Und ich sah in Gedanken meine Maman Musik hören, Tee trinken und ihre Praxisunterlagen zu bearbeiten. Beichte schreiben, Abrechnungen machen. Jeden Abend nahm sie sich nach dem Abendbrot eine Stunde Zeit dafür. Als ich alt genug war um den Praxisalltag kennenzulernen durfte ich mithelfen um mein Taschengeld aufzubessern. 

Maman hatte unmöglich viele Tee- und Honigsorten, Teetassen, Stövchen und Kerzen. Ich suchte nach einem Kasettenrekorder. Leider fand ich keinen.

Ich bewundere heute noch Maman's Musikgeschmack. Adams, Collins, Meat Loaf.... die Liste wäre unendlich lang.

Und ich sitze da, unfähig nur eine CD in meine Hand zu nehmen. Ich greife in die Kiste und zucke zurück. Maman war ein sehr ordentlicher, sauberer Mensch. Sie verleihte ungern Bücher, CD und persönliche Dinge. Wenn dann  mit der Message "Passt ja gut darauf auf!"

"Wovor hast du Angst? fragte Lars. 

Ich habe keine Ahnung wieso ich Sachen weder von Maman, Omi, Fabian anfassen kann. Ich glaube weder an Mystik noch an die Kirche.

Ich habe eine andere Interprätation für Gott. 

Ich versuche es zu ergründen, aber ich finde keine Antwort.

"Vielleicht weil man im Volksmund sagt...Sie oder ihn, hat Gott zu sich geholt....oder oh da hat aber...der zuletzt Verstorbene sich jemanden ausgesucht und nachgeholt....."

"Ach die blöden alten Weiber reden nur Unsinn. Die sagen das bei jeder Totenwache, weil sie nicht wissen was sie sagen sollen." tröstete mich Papá immer. Mag sein, dass das in meinen Gedanken unbewusst hängen blieb. Verstehen kann ich es selber nicht, wie soll mich jemand anderes verstehen? 

Maman muss Pá sehr geliebt haben, denn sogar seine persönlichen Widmungen lagen noch in den CD- und DVD-Hüllen. Auch eine Musikgeschenke von uns Kindern bewahrte sie sorgfältig auf.  

"Sur mes branches de pensée
Je cherche des moments
comme boutons floraux et bourgeons foliaires
Et je l'ai trouvée dans ces chansons.

Je vous souhaite joyeux anniversaire!"
Marie-Émilia"

Auf meinen Gedankenzweigen
suche ich Augenblicke
als Blütenknospen und Blätterknospen
und ich fand sie in diesen Liedern.

Alles Liebe zum Geburtstag!"
Marie-Émilia

 Das war von 1997 auf einer Collins CD.

" Du könntest doch etwas üben schöner zu schreiben. Mädchen haben doch eine schönere Schrift als Jungs," sagte sie oft. Ich glaube an dem Tag hat sie nichts über meine Schriftzüge gesagt.

Geschenke machten sie immer verlegen. 

Zum Geburtstag habe ich von Lars dieses Jahr unter anderem ein Tablet bekommen. Tante hat gekocht und gebacken. Ich habe das von ihr angenommen, denn man weiß ja nicht ob es ihr nächstes Jahr gut geht. Ich war schon wunschlos glücklich mit allen am Tisch zu sitzen zu können. Mehr brauche ich nicht.

Ich denke an meine Geburtstage zurück wie Maman sich ins Zeug legte für uns. Blaue Ecke für Fabian, rote Ecke für mich. Auch dann als Fabian schrie er möchte sie nie mehr sehen, war trotzdem eine blaue Ecke für ihn gerichtet und ich durfte ihm das Geschenk ihm hinterher tragen. Ich habe ihm an dem Tag wo ich die Nachricht bekam, dass sie tödlich verunfallt ist, ihm eine Ohrfeige verpasst. Ich hätte ihm an dem Tag am liebsten die Augen ausgekratzt. Er stand nur da und sagte: "Spinnst du!?" Dann umarmten wir uns uns weinten alle beide. Er weinte länger....viel länger....und ich konnte in nicht trösten. Nie mehr.

Ich denke er vermisste sie mehr als ich. Er war ihr Liebling. Bei ihm drückte sie immer die Augen zu, wenn er Mist gebaut hatte. Kurz danach erkrankte er heftig, erholte sich von der Endocarditis nur sehr langsam. 

Er war besser als ich. Er war der Herzmensch und ich konnte mit meinen Gefühlen allein aus Angst vor allem und jedem kaum etwas anfangen.

Und heute noch blockiere ich in Herzdingen.

Ich schlage innerlich um mich wie ein verwundetes Tier.

Lars sortierte den Kisteninhalt und sah mich an.

"Das kann alles weg." sagte ich entschlossen. Drei riesige Kisten mit alten Praxisunterlagen müssen noch geschreddert werden. 

Was für Papá wichtig ist von Maman, hat er bestimmt behalten. Lange Zeit hatte er ihren Kleiderschrank nicht leeren wollen und dann hat er irgendwann doch alles aussortiert. 

Oftmals frage ich mich, ob er ab und zu mit Frauen ausgeht. Ihn frage ich nicht. Es ist sein intimes Leben. Da fragt man nicht. Er redet nicht mit uns über sein Herzleben. 

Er nannte uns nie "meine Stiefkinder" sondern immer nur "meine Kinder." Und nun ist er für uns immer da. 

Ich tue mich bei Noelle und Fabienne schwer. Sie haben ihre Mama. Und sie nennen mich beim Vornamen. Sie nennen mich auch nicht Tante.

Bei Noelle fällt man immer noch über Legosteine und bei Fabienne über Bücher. Beide immer noch sehr unordentlich. Bei Fabienne liegen keine Klamotten mehr auf dem Boden. Sie bessern sich tagtäglich. Ich kann ihre Eltern nicht ganz ersetzen, ein Vermissen wird immer bleiben.

Und es wird wie bei mir Auswirkungen auf  Beziehungen haben. Eine Urangst bleibt immer und diese kann zumindest ich nicht bei mir, nicht definieren.


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Die Sandfrau - Kopf hoch

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Nur Freunde

 Wir waren zusammen in der Oberstufe im Lycée, saßen nebeneinander und waren immer noch "nur" Freunde. Wir hegten keine amoureuse Liebe, keine erotische Liebe, sondern eher eine freundschaftliche Liebe füreinander. Es gibt mindestens ein "Warum" in unserem Leben für das wir keine einzige Antwort finden. Keine annähernd passende.

Weder die Schulkollegen, noch unsere Clique und weder unsere besten Freunde glaubten uns, dass wir nur Freunde sind. Dafür waren wir uns zu sehr vertraut. 

Mit der Zeit bildeten sie einen unsichtbaren aber für uns beide fühlbaren Kreis um uns herum. Kein Junge verliebte sich in mich, weil alle dachten ich wäre vergeben. Kein Mädchen wollte mit ihm gehen, weil sie mich an seiner Seite meinte.

Wenn sich jemand in mich verliebte, verlangte er dass ich mich für ihn entscheide und die Freundschaft zu meinem Jugendfreund abbreche. Ich wäre mit dem Herzen und mit meinen Gedanken nicht richtig bei ihm, sondern eher bei meinem "Nur"Freund.

Eines Tages verliebte sich meinen "Nur"freund in ein Mädchen und stellte sie mir vor. Sie glaubte uns, dass wir "nur" Freunde sind. Doch mit der Zeit entliebte sie sich wieder von ihm, da er angeblich "nur" mich in seinen Gedanken hätte.

Eine Schulkollegin organiesierte eine Geburtstagsparty zu ihrem 19. Geburtstag und da wir mit ihr gut befreunden waren, lud uns beide ein. 

"Immer noch "nur"Freunde fragte man uns im Laufe des Abends und wir bejahten Einige lachten, andere meinten es kann keine "nur" Freundschaft zwischen Mann und Frau geben. Einer verliebt sich immer. Dann begannen sie in der Clique zu wetten, wer den ersten Schritt machen  und den "nur"Freundschaft" Status anfechten würde.

Wir verließen gemeinsam genervt und enttäuscht die Party.

Da er in der Nähe wohnte, lud er mich zu sich ein, noch ein bisschen zu quatschten, Musik zu hören. Da ich erst um Mitternacht zu Hause sein musste, nahm ich an.

Er machte uns Pfefferminztee mit Zitrone, holte Käse. und Wurstaufschnitt aus dem Kühlschrank und wir redeten über den Abend und über vieles andere, wie wir schon immer redeten.

"Und wir beide haben keine Chance mehr zu werden? fragte er leise, als wäre er selbt erschrocken über seine Worte.

"Wir beide? Was denn mehr?" fragte ich erstaunt. Da wir über alles Mögliche redeten und soar über Liebe und Sex schon redeten, nahm ich ihn nicht so wortgenau. Kein einziges Mal habe ich daran gedacht, was wäre wenn..... Da er sehr gut mit meinen Brüdern befreundet war und er sich mehr bei uns als Zu Hause aufhielt und oftmals sogar da schlief, fühlte ich als hätte ich nich einen Bruder dazu bekommen.

"Du meinst wir sollten versuchen uns ineinander zu verlieben, da uns eh niemand will, weil alle glauben wir wären ein Paar?" Wie naiv von mir zu glauben man würde sich Hals über Kopf und Herz über Kopf in jemanden auf den ersten Blick verlieben. Ich glaubte tatsächlich, dass Liebe so passiert. Man lernt jemanden kennen, der dich die Welt mit seinen Augen sehen lässt und schon ist es Liebe.

Ich sah ihn erstaunt an. Er sah mich an so gut er mich ansehen konnte. Seine Augen fixierten mich nicht.

Er legte seinen Arm um meine Schultern und er küsste mich sanft und zärtlich. Ich saß da, starrte ihn an und dann umarmte ich ihn stürmisch und unbeholfen und küsste ihn heftig. Wir küssten uns immer wieder bis wir die große Wanduhr Mitternacht schlagen hörten.

"Oh, ich muss los! Das gibt Ärger. Ich komme zu spät nach Hause." flüsterte ich zwischen zwei Küssen.

"Die sagen bestimmt nichts. Ich bin ja bei dir." flüsterte er noch leicht mitgenommen.

Beide konnten wir es nicht fassen, dass wir versuchten mehr als "Nur" Freunde zu sein.






die leere Ecke

Zum ersten Mal seit ich zurück bin, träumte ich von Opa. Als er starb war ich 15 Jahre als und 2 Tage. Er klagte über seinen Kreislauf und er würde einen Mittagschlaf machen, in der Hoffnung, dass es ihm danach besser ginge.

Im Traum stand er hinter der Tür und erschreckte nicht Oma sondern mich. Opa hatte wenige graue Haare als er starb. Ich sah ihn mit schneeweißen Haaren vor mir und er blinzelte mit beiden Augen wie eine Katze. Er streckte die Hand nach mir aus und ich hörte mich sagen "Oma kommt nicht"

Er blinzelte und sagte Du.... du... und ich wollte wegrennen und war wie gelähmt. Und ich versuchte rückwärts zu gehen. Ich tretete auf dem Fleck. Und ich konnte kaum aus dem Traum heraus.

Und jemand redete auf mich ein.

"Dann sah ich Lars über mich gebeugt und hörte ihn. Du strampelst die Decke weg." Er deckte mich zu. Ich schmiegte mich an ihn und ich fühlte meinen Herzschlag bis in den Rachen und bis in die Ohren. 


Ich erinnerte mich:


"Du hast schon wieder deine Blutdrucktabletten vergessen!" schrie ihm Oma hinterher.

Ich machte in meinem Zimmer meine Hausaufgaben und hörte dabei Musik. Rock und Folk hörte ich schon damals gern. Ich hatte einen CD-Turm von Opa geschenkt bekommen, den ich neben mein Bett gestellt hatte, damit ich die CD immer griffbereit hatte. Maman kaufte mir einen PC mit Windows 95 und ich machte meine Hausaufgaben am PC, brachte mir Word bei. Eine Schulfreundin war bei mir zu Besuch und wir lernten zusammen.

Wir vergaßen alles um uns herum, als wir  gemeinsam die damaligen Funktionen von Word testeten.

Gegen 17:00 bekam ich Hunger. Wir gingen in die Küche und ich lud meine Freundin zu einem Butterbrot mit geräuchertem Schinken und saure Gurken ein.

"Hast du Opa gesehen?" fragte Oma. Als ich verneinte ging Oma ihn suchen. Sie rief im Hof nach ihm und dann fiel ihr ein, dass er Mittagschläfchen machen wollte, dann ging sie ins Schlafzimmer. 

Ich nahm alles nicht so ernst. Opa machte immer irgendwelche Scherze. Oftmals versteckte er sich hinter der Tür um Oma zu erschrecken. 

"Oh du alter Bock!" rief Oma dann meistens aus.

Wir Mädels saßen am Tisch und aßen. 

"Er ist ganz kalt!" rief Oma und rannte zum Telefon im Flur. Rief den Notruf. Meine Schulfreundin verabschiedete sich urplötzlich und ich rannte zu Oma ins Zimmer. Oma konnte Erste Hilfe aber sie konnte ihn nicht zurück ins Leben holen. Auch die Sanitäter konnten nichts mehr für ihn tun.

Opa schlief friedlich weiter für immer.

Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst vor dem Einschlafen. 

Erst Wochen danach realisierte ich diese Endlichkeit. Opa war nicht mehr da. Er erschreckte Oma nicht mehr. Ich wollte nicht mehr allein in die Küche gehen oder allein in der Küche bleiben.

Und wenn keiner daheim war, aß ich nichts. Und ich aß auch mit Oma und Maman nicht gerne in der Küche.

Ich kaufte mir von meinem Taschengeld immer irgendetwas. Orangen und Zitronen liebte ich abgöttisch. 

Ich bekam Magenschmerzen, hatte grippeähnliche Symptome. Ich krümte mich vor Schmerzen. Maman ließ mir Blut abnehmen, brachte mich zu einem Internisten und am nächsten Tag musste ich nüchten in die Praxis und zwei Behälter mit Kontrastmittel trinken bevor ich eine Magenspiegelung bekam.

Hypoacide Gastritis.

Ich bekam Schonkost bis sie die Magenschleimhaut wieder erholte.

Maman zerrte mich in die Küche, drückte mich auf den Stuhl. "Bis der Teller nicht leergegessen hast, lupfst du dich nicht vom Stuhl." Ich saß da und starrte in die Ecke, hin zur Tür zu Opa's.

"Du sitzt da bis der Teller leer ist!" ermahnte mich Maman erneut.

Oma sah mich an, folgte meinem Blick und meinte: " Du musst etwas essen. Opa wäre stolz auf dich wenn du wieder rosige Bäckchen bekämst und nicht so käsig herumrennst."

Maman setze sich zu mir und erklärte wie Opa einen stillen Herzinfakt hatte. Und Geister gäbe es nur in billigen Filmen. Maman glaubte nicht an eine Unendlichkeit der Seele. "Weg ist weg." 

Irgendwann war dann auch mein Teller leer. 

Ich hatte lange mit der Gastritis zu kämpfen und mit der leeren Ecke hinter der Tür.  "Das Haus hat er umgebaut und überall sind seine Hände und wenn du willst, auch seine Seele. Und das ist schön. Er war ein wunderbarer lieber Mensch. Das hat er alles gemacht und das ist seine Erinnerung und keine leblose Gestalt." tröstete mich Oma.

Maman erklärte mich aus medizinischer Sichtweise den Tod.

Er gehört zum Leben, wie eine Geburt. Das Ende gehört dazu.

Irgendwann stellten mein Bruder un ich uns in die Ecke und wollten Oma erschrecken.

"Kommt vor, ihr könnt das nicht," lachte Oma. "Opa konnte mich nicht erschrecken, ich ließ im nur seinen Spaß daran."


Als ich mich dann schlussendlich aus dem Traum hreausreißen konnte, fühlte ich mich fiebrig, hatte Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und mein Hals war aufgeraut wie ein Reibeisen.

"Kalt," murmelte ich im Halbschlaf.

Dann war ich wach.

Aprilgrippe. Was für ein Mist.  Genesungswochenende.




Sky above me Earth below me Fire within me..

Sky above me
Earth below me/
Fire within me... 

 

05:30Uhr weckte mich tagtäglich der Handywecker. Meistens bin ich schon ein paar Minuten eher wach. Und manchmal möchte ich mich in die Federn kuscheln und weiter schlafen.

Aus dem Radio klang Amy McDonald mit "From The Ashes".Es ist kalt und vereinzelt fielen Graupelkörnchen wie winzige Perlen vom Himmel. Ich leerte den Behälter aus dem Kaffeeautomaten, füllte ihn mit Wasser und spülte den Brüher und das Schälchen für den Kaffeesatz. Danach schaltete ich zwei mal hintereinander auf  heißes Wasser.

Während das heiße Wasser den Brüher und die Behälter reinigte, legte ich die Praxisunterlagen bereit. Meine Hektik war wie ein Blitz auch schon wach. Und während ich den Spagat zwischen Kaffeeautomat, Unterlagen und Frühstücksvorbereitung schaffen wollte, fiel das Frühstücksbrettchen mit dreieckwärts auf meinen großen Zeh, exakt da wo der Nagel ins Nagelbett mündet. Und wie ein Blitz durchfuhr mich der Schmerz durch das ganze Bein.

Nachdem Lars den Zeh untersuchte, die vermeintlich kleine Schürfwunde verarztete, ich Nils in den Armen hielt und mit ihm sprach und er mich mit seinen graublauen Augen blinzelnd anlächelte, hatte ich Tränen in den Augen. 

Nils Augen sind von einer definierbaren Farbe. Dunkelgrau wie eine Regenwolke die jeden Augenblick vom Himmel fallen könnte. Ein stürmisches Grau - eine Farbe die einst Baudelaire, Verlaine, Rimbaud inspiriert haben. Entweder er bekommt dunkelbraune Augen, oder aber sie hellen sich graublau auf wie ein stürmisches Meer. Zoé's Augen sind mittlerweile espressofarben und ihre Haare sind châtain.

"Dienstplanwechsel?" fragte Lars während er den Verbandskoffer im Wandapothekenschränkchen verstaute. Opa hatte das Wandschränkchen in die Wand eingebaut, als er das alte Haus umbaute. 

Er erzählte uns Kindern damals, dass da eine Speisekammer war und ein offener Kamin wo die Leute sogar Schinken und Wurst räucherten. Und der Sockel diente als Ablage für Wintervorräte wie Marmelade, Kompott und Antipasti. Die Wand wäre so verrußt gewesen und er hätte alles abgetragen und nach einer Zeit blickte der Ruß immer wieder durch. Wegen der Wölbung hätte er die uralte Wand behalten, und es stank lange nach Rauch, meinte er. Oma hatte ihre Freude daran. Sie hing ihre Gußeisentöpfe und Pfannen auf. Oben auf dem Regal hatte sie jede Menge Gewürze In Porzellan- und Glasbehälter.  Wir Kinder schnupperten immer an der Wand und ärgerten Oma mit "es stinkt nach Rauch." Irgendwann konterte Oma; "Wer hat hier gefurzt.?" Wir lachten.

René hat den Sockel vergrößert, hat ein Regal aus Kirschbaumholz passend geschreinert und versiegelt, hat zwischen Ziegel und Verputz isoliert und danach das Regal mit Hinterwand aus dem gleichen Holz eingebaut. Somit habe ich einen Wandschrank. Der Apothekenschrank hat er in die Wölbung eingebaut.. 

Nicht einmal in einen Turnschuh konnte ich meine Zehen stecken.

"Dienstplanänderung aber nur für heute, " pflichtete ich nach langer Diskussion bei. 

Es graupelt und schneit und schneeregnet. Während ich Zoé erklärte was Graupel ist und sie fasziniert von den Schneeperlen war, inspizierte ich die Bäume. Die Kirschbäume blühen und die Apfelbäume knospen schon.

Und plötzlich zeigte sich die Sonne. Sie schob die Winterwolken zur Seite wie ein Bühnenvorhang und zeigte sich wie eine in sonnengelb gekleidete arrogante Diva mit eiskalten Zähnen.

Ich streichelte mit den Fingern über das nasse, krude, pastellfarbene Grasgrün. Für Zoé ist es ein großes Nest für den Osterhasen. 

Nils legte sein Köpfchen auf meine Schulter und verschlief die Naturrunde. Er liegt schwerer als er sit in meinen Armen.

"Er kann nur schlafen," beschwerte sich Zoé über ihn, wütend weil sie ins Haus musste. 

In der Küche wartete Pá bei einer Tasse Zauberkaffee auf mich. Er wollte Zoé und Noelle abholen. 

"Schalte doch mal ab!" redete er auf mich ein. "Du kannst nicht hundert Sachen auf einmal anpacken. Ist der Zeh gebrochen? So eine Haarfissur ist schmerzhafter als ein Bruch.

Ich zeigte ihm meinen Zeh. Der Nagel hatte sich mittlerweile pflaumenblau gefärbt. Blut  hatte sich unter dem Nagel gestaut. Deshalb pocht er so stark und synchron mit dem Herzschlag. 

"Ich verliere meinen Nagel," stellte ich fest. "Fünf Minuten Pá." sagte ich und humpelte zum Nähkorb.

Ich kam mit der größten und dicksten Nähnadel zurück die ich finden konnte, Eine Zeltnadel noch aus Oma's Bestand. Zelttücher legt man auch unter die Getreideernte.

Ich nahm das große Kerzenfeuerzeug erhitzte die Nadel , desinfizierte den Zeh und stach damit in den Zehnagel. Spülte die Wunde und bin zufrieden mit dem Ergebnis. Es hat aufgehört zu pochen. Der Nagel eholt sich. Das Nagelbett scheint intakt zu sein. 

"Wie im Mittelalter, " scherzte Lars über WhatsApp. 

Mir egal. Ich kann es. Und das zählt für mich und nicht wie.

Als hätte ich mich mit meinen 57 kg tonnenschwer gemacht und ihm auf die Beine getreten. Er war eingeschnappt. Und Lars zieht es vor zu schweigen, wenn ihm etwas nicht passt.

Gedankenblitze lösen manchmal Gefühlsgewitter in meinem Herzen aus. Dann donnern Worte über die Lippen, die ich am liebsten gar nicht kennen würde. Ich stelle seine Ideen doch nicht in Frage, wenn ich andere Ideen habe. Und wenn ich wütend bin, redet er nicht mit mir. Ich weiß nicht was er dann fühlt, oder was er dann denkt. 

"Du sollst nicht so fluchen!" sagt er dann.
"Wer sagt das? Du?" schreie ich dann. "Ich fluche wann ich will, wo ich will und wie ich will."
Schweigen. 

Ich denke manchmal steht die Liebe still als würde sie auf etwas Besonderes warten. Oder aber sie begleitet mich wie Hintergrundmusik durch den Tag und ich nehme nur Melodie-und Wortfetzen wahr. Ich weiß, die Welt steht nicht still, sie rotiert, und somit steht auch die Liebe nicht still. Jedoch ohne sein Lächeln fühlt sie sich schmerzhaft still an.
Doch er zieht es vor zu schweigen. Und mit Schweigen kann ich nichts anfangen. Ich kann damit nicht umgehen.

Meine Augen regnen. Salzige Tränen rinnen über meine Wangen und Mundwinkeln. Und in mir regnet es. Salzig und bitter überschwemmt der Regen meine Stimmbänder bis ich fast in meinem Tränenfluss ertrinke.

"Eigentlich sollte ich nicht nur wütend auf dich sein, sondern auch auf mich selbst. Wozu hättest du auf mich warten sollen? Du weißt was du tust. Wollte bei dir sein." 

"Und wieso redest du nicht mit mir wenn ich wütend bin?"
"Weil wir uns streiten würden wegen Nichts." 
Seine Harmonie und mein Temperament - ein Feuerwerk. 
Die Praxislösungsfinderin bin ich, doch wehe ich sage etwas zu ihm vor der ganzen Belegschaft. Ich würde ihn untergraben..,..aber er untergräbt sich selbst wenn er delegiert....."meine Frau macht das."  Was bei ihm die Sprache nicht hergibt, delegiert er. 
Oft, sitze ich da, wie heute und zweifle an mir, an der Praxis und ob es wirklich das Richtige ist was ich wollte. - nach Hause zu kommen. 
Familie - Hof und Tiere und Praxis. Pá ist gesund und rüstig, aber irgendwann werden ihn seine Kräfte auch verlassen. Tante ist zwar körperlich fit und emsig, aber in Stresssituation kriegt sie Panikattacken und ist so lange sie diese Ängste hat, wie schockdement. René wuselt herum wie ein einsamer Wolf. Manchmal steht er sich selbst im Weg. Aber was er mit Holz alles schafft ist der Wahnsinn. Corona bremst ihn aus und das nervt ihn.
Ob ich den Spagat im Chaos schaffe......
Ich bin urlaubsreif. 

Manchmal möchte ich von vorne anfangen wie ein Neugeborenes,
das sich an nichts erinnert, 
wie eine leere Leinwand die darauf wartet mit Farben gefüllt zu werden. 
Nous étions faits pour être heureux.

Und dann möchte ich dich lieben, 
mit dem Sonnenaufgang in den Augen, 
mit einem sonnenwarmen Lächeln in jedem Kuss, 
mit dem Herzen in den Ärmeln 
um Liebe über dich zu schütten 
wie der Kirschbaum seine Blüten über das frühlingsgrüne Gras 
und mit dem Sonnenuntergang in den Augen bis in den Schlaf.

Und als Lars nach Hause kam wartete ich im Hof auf ihn.
Er packte mich, wirbelte mich herum und trug mich ins Haus.

Die Stille war erfüllt von gedämpftem Lachen, von Küssen und zerzausten Haaren.

Oftmals frage ich mich ob er mich wirklich hier her begleiten wollte. Und wenn ich manchmal davon träume wie die letzten Monate in Deutschland waren. Zuletzt hatte ich 60h Wochen trotz Baby und jedes Monatsende zitterte ich vor meinem Vorgesetzten, ob er mit meiner Leistung zufrieden war. "Kostenstelle sauber halten........die können noch ein paar Stunden schieben......Anordnung.......raus hier.......15% überschritten........sie sind planlos.....

Ich fuhr nach Hause, stellte meine Tasche ab, warf die Autoschlüssel auf den Küchentisch.
"Hey, da gehört er aber nicht hin," sagte Lars verwundert.
"Scheiss egal!" schimpfte ich. 
"Ich bin planlos, blöd und unkontrolliert. Dann bin ich es mal."
"Wer sagt das?" 
Ich erzählte ihm was vorgefallen ist und er mir gedroht hat mich beim nächsten Mal rauszuschmeissen. 
"Sollen wir die Gewerkschaft anrufen? Die stellen uns einen Anwalt. Oder du nimmst den B......Er hat damals doch den einen Kollegen vertreten und hat gut verhandelt. Bewirb dich weiter. Du bist gut."

Und als die Angst mich aufzufressen drohte, redeten wir über den Umzug. Es dauerte noch fast ein halbes Jahr bis wir einigermaßen alles geregelt hatten und umziehen konnten.

Und ich fragte ihn ob es richtig war? Jetzt nach über einem Jahr und mitten in eine schwierigen Corona-Zeit.
"Aber ja. Auch Corona wird irgendwann enden, dann ist es vollkommen richtig hier."
"Sie mal wie viel allein die Corona-Maßnahmen gekostet haben, verflucht noch mal." schimpfte ich.
Schweigen.
Sometimes not speaking says more than all the words in the world.
"Dann sprich ein wenig mit mir. Schweigen ist das blaue Licht "Achtung" ich bin wütend auf dich." beharrte ich.
Lars lächelte."Bin ich gar nicht. Aber es änderst sich doch gar nichts wenn du städig über alles fluchst. Du bist wie ein kleiner Drachen der gleich Feuer spuckt."
"Egal, dann bin ich halt ein Drachen." ich umarmte ihn und drückte mich ganz fest an ihn.
"Blau oder rot?" fragte ich ihn.
"Feuerrot."