Entscheidungen

 


W
ir waren Kollegen, Freunde. Er begleitete mich durch eine nicht enden wollende Trauerphase. Ich wurde unerwartet Tante, Patentante, Babysitter und fühlte mich allein, obwohl ich meinen Bruder, eine gute Freundin und ihn um mich herum hatte. Ich fühlte mich nicht zu Hause und vermisste meine Oma, meine Maman und ich vermisste sogar meinen Vater. Ich wurde innerhalb von drei Jahren zum Weisenkind. Auch wenn man schon erwachsen ist, ist man verweist, wenn Eltern gehen. 

Er war humorvoll, intelligent und begeisterungsfähig. Irgendwann wurden wir Liebende. Wenn er nicht neben mir war, vermisste ich ihn. Wir schweißten irgendwie zusammen und waren unzertrennlich. Wir suchten uns eine gemeinsame Wohnung, denn ich hatte nur eine Studentenwohnung und die Vermieterin wollte nicht, dass  in einer Einzimmerwohnung  zwei Leute wohnen. Er wohnte noch bei seinen Eltern. 

Nahe der Universität fanden wir eine Zweizimmerwohnung zum Studentenpreis. Ich hatte plötzlich viele Nachbarn auf  vier Stockwerken  mit je drei Wohnungen verteilt und es war ziemlich laut für mich, da ich  im letzten Studienjahr sehr viel Nachtdienst hatte. Tagsüber machte ich den Haushalt, räumte seine Käsesocken, seine nassen Badetücher, seine Unterwäsche, die er überall verstreute,  in die Wäschetruhe. Ich kochte für ihn, putzte die Küche, räumte hinter ihm her, wie bei meiner kleinen Nichte. Oftmals warf ich ihm seine Wäsche hinterher.

"Wir lieben uns. Es spricht nichts dagegen, zu heiraten." sagte er eines Abend bevor ich zum Dienst musste. Ich war gedanklich schon im Dienst und da unsere Belegschaft immer unterbesetzt war, musste ich viele OP annehmen und schon leiten. Die Angst vor der Verantwortung lähmte mich zeitweise gedanklich.

"Aber ja, ist klar!" lache ich über seinen Vorschlag. 

So einen sachlichen Antrag habe ich mir gar nicht vorgestellt. Ich hatte mir überhaupt nie einen Heiratsantrag vorgestellt. Ich war immer der Meinung, ich liebte nicht genug, um zu heiraten.

Am nächsten Nachmittag lotzte er mich zum Goldschmied.

"Was sollen wir denn da? Ich möchte keinen Schmuck. Wann soll ich denn Schmuck tragen? Wir dürfen keinen Schmuck tragen." winkte ich ab und wollte gehen.

"Wir wollten doch heiraten!" rief er aus.

Ich lachte. "Dich heiraten? Oh meine Götter. Ich kann es mir gar nicht vorstellen. Du bist ein verwöhnter Chaot."

"Ich werde mich bessern!" versprach er.

Wir heirateten standesamtlich. Meine Brüder, meine Freundin, seine Mutter und seine Schwester waren dabei als wir uns das Jawort gaben. 

Oma schimpfte mit mir am Telefon über die Entscheidung. "Warum habe ich das Gefühl, dass du in dieser Trauertrotzphase falsche Entscheidungen triffst? Du hast deine Maman enttäuscht, als du deinem Bruder hinterher ranntest. Du kommst doch nie im Leben mehr hier her zurück. Du wendest dich von uns ab. Was willst du mit dem? Er ist zu uns abweisend. Der sieht aus wie ein zu groß gewachsenes Kommunionkind. Der nimmt dich gar nicht ernst. Du wirst noch an meine Worte denken. Du musst ihn doch nicht gleich heiraten."

Seine Mutter hatte alles organisiert und hatte in einem Restaurant Tische reserviert. Sie wollte ihrem Sohn etwas bieten können. 

Meine Melancholie verflog an diesem Abend auch nicht. Wir fuhren für zehn Tagen in die Bretagne. Wir genossen uns, wir genossen die maritime Landschaft. Dass Omi auf mich wütend war, belastete mich sehr. 

Der Alltag hatte uns schnell wieder im Griff. Socken lagen herum, Unterhosen und Hemden flogen ihm an den Schädel.  Ich konnte mit ihm schimpfen so oft ich wollte. Er besserte sich für ein paar Tage und dann ging das Chaos wieder los.

Ich lernte ununterbrochen für mein Examen. Er traf sich mit Freunden.

An allen Tagen meines Examens hatte er Dienst. Man bekommt nicht immer frei, wenn man wollte. Ich fuhr allein zum Examen.

Als ich mein Ergebnis abholte und ich ihn anrief, konnte er nicht an sein Handy, da er im OP stand.

Ich ging mit meiner Freundin in ein Bistro und wir aßen Tortellini und tranken Espresso und Cappucchino. Er antwortete nur auch eine Nachricht mit "Glückwunsch". Dann fuhr ich nach Hause.

"Wo warst du bis um 21:00 Uhr?" fragte er genervt.

"Mit Denise etwas essen und das Examen begießen." sagte ich selbstverständlich für mich.

"Ach und wer war noch da?" schrie er mich an.

"Niemand sonst? Wieso schreist du?" fragte ich erschrocken, weil ich diese Seite an ihm nicht kannte.

"Diese Nutte konnte mich nie leiden." schrie er weiter. "Ich möchte, dass du dich von ihr fernhältst. Sie hetzt dich gegen mich auf."

"Und du bleibst mit deinen Arsch jedes Wochenende an dem ich Dienst habe zu Hause! Und Denise ist meine beste Freundin hier. Du kannst deine Mama Nutte nennen, die dich so arrogant und faul erzogen hat." schrie ich.

Er sah mich mit aufgerissenen Augen an. Und ich hatte ein mulmiges Gefühl. Als hätte er irgendwo  einen Schalter den er an und aus machte.  Ich rannte ins Schlafzimmer. Er entschuldigte er sich für seinen Ausraster. Er würde sich bessern, er hätte Angst um mich. In mir zerbrach etwas. "Er kann brüllen wie ein Löwe. Wann wird er mich schlagen?" dachte ich.

Zur Krönung der Woche, bekam ich den Bescheid, dass nur drei vom ganzen Jahrgang übernommen werden konnten. Und ich war nicht unter ihnen. Denise zug es in eine BG-Klinik und dann nach Fulda.

Ich bewarb mich einen Tag später auch im Rheinland. Und ich wurde nach 10 Tagen angenommen. Ich war zurück in meinem Vaterhaus. Konnte mit dem Fahrrad zum Dienst radeln. 

Wir entschieden uns für eine Fernbeziehung, da er nicht ins Rheinland wollte. Damals glaubte ich er wollte nicht von seiner Familie weg. Seine Mutter klammerte sich an ihn wie eine Klette.

Wir besuchten uns an freien Wochenenden oder an freien Tagen. Irgendwann besuchte ich ihm mehr als er mich besuchte. Es war für mich auch in Ordnung. Ich räumte seine Sachen weg, kochte für ihn und fror Essen ein. Manchmal konnte ich nicht einmal übernachten, da ich am nächsten Tag Frühdienst hatte.

Kurz vor Ostern lud uns Omi ein. Ich nahm dafür zehn Tage Urlaub und fuhr allein zu Omi. Er bekam angeblich keinen Urlaub, obwohl die immer großzügig waren, und es kaum Urlaubsprerren gab. Sie war so enttäuscht von mir und sie war so traurig und weinte herzzerreissend um mich, um die ganze chaotische Situation. Während den Ostertagen traf ich mich mit meiner besten Freundin und mit meinem besten Kumpel und Freund aus Kindertagen. Beide konnten es nicht fassen, dass ich geheiratet habe. Sie wünschten mir viel Glück, aber sie hatten damit nicht gerechnet, da ich sehr an meiner Unabhängigkeit hing.

Ich fuhr nach den Osterfeiertagen zurück und fuhr bei ihm vorbei.

"Du brauchst nicht zu kommen, ich bin nicht zu Hause. Habe Dienst." schrieb er.

Ich fuhr trotzdem hin. Wollte ihm ein paar Geschenke zukommen lassen die meine beiden Tanten und mein großer Bruder mitgegeben hatten. Zuvor traf ich mich mit Denise, da sie mir dringend etwas zu erzählen hatte.

"Schnell!" schrieb sie.

"Im Café zu Da..... werde um ca. 16:00 da sein." schrieb ich und fuhr weiter. Ich sah sein Auto auf dem Parkplatz und dachte mir er wollte mich überraschen. Vielleicht hatte Denise ihm geschrieben, dass wir uns treffen würden, oder er überrascht mich, wie er es immer tat, wenn wir us gestritten haben. Charme hatte er jede Menge, wenn es um seine Vorteile ging.

Ich trat ein und sah Denise mir zuwinken.

"Dreh dich nicht um!" flüsterte sie. Und ich drehte mich reflexartig um, um meinen Mantel auf den Stuhl zu hängen.

Da entdeckte ich ihn mit einer Assistenzärztin die wir beide kannten. Sie wirkten verliebt und waren vertrauter miteinander, als wir es zusammen waren. Sie küssten sich immer wieder, lachten miteinander und fütterten sich gegenseitig. Er sah uns erschrocken an.

Ich musste mich an der Stuhllehne festhalten, denn ich hörte nichts, sah nichts und mir war so übel, dass ich an einen Herzinfarkt dachte. Denise sprang auf und hielt mich fest. Als ich mich gesammelt hatte, was nur einen gefühlten Bruchteil von Sekunden dauerte,  rannte ich raus. Denise rannte mir hinterher und hielt mich fest. Ich legte meinen  gedankenleeren Kopf an ihre Schulter und saß da als wäre ich verstummt.  Ich konnte nicht einmal weinen oder einen klaren Gedanken fassen. Mein Hals war wie zugeschnürt.

Ich drehte mich um und sah ihn vor mir.

"Es ist nicht so wie es aussieht," stammelte er.

Ich schubste ihn weg. " Lassen wir das Ganze. Es würde nur zu einem Eclat führen. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich scheiß auf dein Herz. In meinem Leben hast du keinen Platz mehr." sagte ich wütend.

Er wollte mich umarmen und ich wich zurück. 

"Ich schicke dir die Scheidungsunterlagen zu!" sagte ich leise. "Komm keinen Schritt näher!" 

"Warte doch bitte! Du hattest nur noch dein Examen im Kopf. Ich war Luft für dich!" schrie er mir hinterher.

"Ich war trotzdem immer da. Du aber nicht. Du brauchst ein Kindermädchen und ein Sexobjekt. Mit Frauen kommst du nicht klar." 

Ich fuhr zu Denise. Sie wohnte im gleichen Haus wie ihre Eltern. Ihre Mutter kochte für uns Tee und lud mich zum Abendbrot ein. Wir redeten. Ich weinte immer wieder. Ihre Mutter meinte ich sollte so nicht Auto fahren. Ich schämte mich so, dass fremde Menschen von meinem Scheitern wussten. 

Dann rief ich meinen Zwillingsbruder an und erzählte ihm von der Scheidung.

"Sieben Monate Ehe. Du schaffst es einem zu überraschen. Ernsthaft oder Witz?  Ich muss mich setzen." sagte er überrascht. Er kämpfte mit einer Endocarditis und hatte heftige rheumatische Fieberschübe. Und ich lasse mich scheiden. Was für ein Leben haben die Götter uns beschert. "Ich fasse es nicht! Ihr habt uns alle mit eurer Spontanheirat überrascht. Ich hätte dem Chaoten das nicht zugetraut. Der Milchbubi könnte nicht einmal ein Wässerchen trüben und lässt sich von dir wie ein Schoßhündchen dominieren, dachte ich. Dass er so ein Draufgänger ist.....könnte es sein, dass du aus Eifersucht rot gesehen hast?" Er atmete schwer. Seine Kraflosigkeit war so fühlbar, so hörbar. 

"Aber ja, ich sehe rot.  Du verdammtes Arschgesicht. Immer sind wir Frauen für das Schietern verantwortlich.  Denise hat viel mehr gesehen als ich.  Es ging schon seit ein paar Monaten so. Was rede ich mit dir eigentlich über mich? Ich ziehe wieder ins Haus."  

Denise holte meine Sachen ab und lagerte sie bei sich ein.

"Ich werde die Scheidungsunterlagen nicht unterschreiben. Ich lass mir von dir meinen Arbeitsplatz nicht kaputt machen." schrieb er. Wir korrespondierten nur über unsere Anwälte. 

Er weigerte sich 17 Monate lang sie nicht zu unterschreiben. 

"Ich flirte auf Teufel komm raus," erzählte ich Denise.

"Lass das!  Was wenn du an den Falschen gerätst? Es ist nicht deine Art. Nach drei Jahren werdet ihr automatisch geschieden. Und höre auf, dich selbst zu zerstören. Was soll die Rache? Du solltest dich nicht selbst erniedrigen, wegen ihm. Er ist es nicht wert" redete sie auf mich ein. Ich liebte ihn nicht mehr, ich hasste ihn nicht. Er war mir egal. Wie ein fremder Mensch der mir aus Versehen auf die Zehen treten würde, Es tat kurz weh. Pustekuchen: ich stand unter Schock.

Das Emotionale war im Schockzustand.

Ab und zu besuchte sie mich im Rheinland und ich sie. Wir verbrachten noch einmal einen Urlaub miteinander. Wir flirteten harmlos mit Männern, wir tanzten und wanderten in der Natur, gingen zum Strand, sie fing sich einen Sonnenbrand ein und ich sammelte jede Menge Muscheln. Wir machten Segelbootfahren, Schifffahrten, wanderten zu den Klippen. Ich funktionierte als hätte man mich aufgedreht. Abends warf ich die auf Papier gekritzelten Telefonnummern oder Visitenkarten weg. Es gab keine Bettgeschichten. Nachts weinte ich mich in den Schlaf. 

Und dann sah sie meine Abartigkeit in einem sozialen Netzwerk.

"Lass das doch sein. Es ist nicht fair, das was du gerade tust. Wieso willst ihm noch eines auswischen. Die Scheidung reicht allemal. Alles andere ist selbstzerstörend. Damit tust du ihm nicht weh. Er liebt niemanden außer sich selbst. "

"Ich werde mich nie mehr verlieben. Ich spiele nur noch mit den Kerlen."

"Ich verstehe deine Wut, ich verstehe deine Traurigkeit und ich verstehe, dass es dir peinlich ist, bald eine geschiedene Frau zu sein. Du hast nichts falsch gemacht. Er hat dich betrogen. Und ich sehe ihn oft mit anderen Frauen. Aber ich verstehe diese Reaktion nicht. Du bist kein rachsüchtiger Mensch. Du bist keine Egoistin. Wieso rastest du dermaßen aus? Schließe mit ihm ab und gut ist."

Ich nickte nur. Sie erreichte mich nicht.

"Und was ist, wenn sich ein Mann in dich verliebt? Wenn es ihm ernst ist, wir er mehr wollen. Wie erklärst du ihm das Fiasko dann?"

"Ich flirte und es wird sich daraus nichts entwickeln." rechtfertigte ich mich. "Ich pass auf mich auf."

  "Hör doch auf! Er kann nichts für deine gescheiterte Ehe. Geh zurück zu deiner Familie. Deine Familie beschützt und begleitet dich durch diese Zeit und es ist keine Selbstverständlichkeit."

Aber ich setzte alles auf eine Karte. 

Nach einiger Zeit lernte ich sogar jemanden kennen. Wir schrieben uns anfangs. Ich hatte anfangs noch die Kraft mich zurückzuziehen. Und als die Scheidungsunterlagen noch einmal ohne seine Unterschrift zurückkamen, tickte ich ganz aus.

Ich wollte von diesem Menschen der vor meinen Augen eine andere Frau küsste und sich so hingab, als würde er sie länger kennen als mich, nur noch die Scheidung. Sein Arbeitgeber war ein kirchlicher Träger und ein Scheidung wäre ein Kündigungsgrund. Deshalb unterschrieb er nicht.

Es war wie ein Kurzschluss. Es war weder Rache noch Liebe, noch Hass, Es war mein innerer Tod. 

Ich war eine Frau die man weggeworfen hatte. Zu melancholisch, zu kindisch, zu winzig. Ich war weder blond, noch hatte ich lange Beine, Körbchengröße C oder D. Ich schminkte mich nicht einmal. Sogar gegen bisschen make up war ich allergisch. Ich war Wildwuchs. Er hatte keinen typischen Frauentyp. Und er lachte sich immer wieder andere Frauen an. Keine blieb. Und dann  versuchte er mich immer wieder umzustimmen. Ich sollte doch zu ihm zurückkommen. 

Ich reagierte zuletzt gar nicht mehr auf seine Nachrichten. Nun ja. Oftmals frage ich mich, wieso konnte es so weit kommen. liebte ich zu wenig,  wieso konnte ich so zusammenbrechen, dass von meinem Ich nichts mehr übrig blieb. Begann es als Vater  ging, oder als Manam ging? Gab der Kuss im Café mir den Todesstoß?  

Ich legte mit dem Flirten erst los.

"Spinnst du!" fragte mich Denise. "Also, was willst du mit der Tusse? Du siehst doch viel besser aus, Sie mal deine Haaren. Ich würde sofort meine dünnen Zotteln mit dir tauschen. Und deine feinen kleinen Hände. Die Kerle sehen dir hinterher und bestimmt wird es dem einen oder anderen scheissegal sein, ob deine Scheidung durch ist oder nicht. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Würde ich auf Frauen stehen, ich würde dich sofort an mich ketten. Du erreichst so viel, wenn du dich wieder einkriegst." redete Denise auf mich ein. Sie erreichte mich nicht im Kern.

Ich setze sogar ihre Freundschaft aufs Spiel. 

Und als er mir wieder schrieb zog ich mich nicht mehr zurück.

Anfangs flirtete ich noch etwas an der Oberfäche. 

Oma ging es zu dem Zeitpunkt nicht gut und ich verbrachte meinen nächsten Osternurlaub bei ihr. Wir redeten über meine Zukunft. "Komm  zurück. Du gehörst hierher. Ich entschied mich gegen sie.

Ich hatte eine gute Stelle im Rheinland und meinem Bruder ging es gesundheitlich immer schlechter. Es gab Tage da konnte er nur wenige Schritte gehen und dann ging es ihm kurzfristig besser. Er war verliebt, er wurde geliebt und das stärkte ihn ein wenig. Wir gaben uns gegenseitig Halt. Ab und zu machte ich seinen Haushalt mit, befreundete mich mit seiner neuen Freundin. Versorgte die Mädels. Er wusste nichts von meinen abartigen Eskapaden im sozialen Netzwerk. Wir redeten nicht über unser Intimleben. 

Erst viel zu spät, als ihn jemand darauf aufmerksam machte, versuchte er nachzuhaken und es kam zum riesengroßen Streit zwischen uns. Wir redeten nur noch wegen meinen Nichten.

Ich flirtete nicht mehr. Ich verliebte mich in diesen Menschen.  Ich verrannte mich immer mehr und verstrickte mich in Lügen. Niemand sollte mich kennen. Niemand sollte mich lieben. Ich will meinen Namen nicht nennen, ich will nicht über meine Scheidung sprechen. Für mich war es Versagen. Totalversagen. Herzversagen. Realitätsversagen. Ein Makel ist es, auf  Urkunden "Geschieden" zu sehen. 

Ich wollte ihm alles erzählen. Wie denn? "Ich habe dich belogen. Du kennst nur einen einzigen richtigen Vornamen. Nur mein Vater nannte mich bei diesem Vornamen, Ich sehe ganz anders aus. Ich habe Strubbelhaare und bin, erst wenn ich mich strecke 160cm groß. Ich bin verheiratet und somit eine Versagerin. Ich habe einen Herzfehler. Ich sehe körperlich aus wie eine schlacksige 16jährige. Auf Dauer wirst du auf mich herabsehen und dir jemand anderen suchen." 

"Er würde mich nicht verstehen. Er würde mich dafür all die Lügen hassen. Er hat alle Liebe der Welt verdient, aber ich ihn nicht annähernd. Er würde mir nie im Leben mehr vertrauen. Und keine noch so große und tiefe Liebe wird das tragen können. Und wenn er mich nehmen würde, irgendwann würde er mich verprügeln oder sogar töten wollen für die Lüge für die Zeit und für die Liebe zu ihm, an die er gar nicht glauben würde.


Ich liebte ihn so tief, so intensiv, wie ich noch nie geliebt habe, ich vermisste ihn jeden Augenblick, ich wünschte ihn bei mir - wie kann man das in so einem Zustand so intensiv fühlen......das frage ich mich oft. Wieso konnte ich dann so abartig sein? Aus Angst vor ihm? Aus Verlustangst? 


Denise distanzierte sich immer mehr von mir. Sie fand es total krank. 

"Du hast eine fette Depression! Ich sehe dir nicht beim Untergang zu."

Danach beendete sie die Freundschaft mit den Worten: "Ich lasse mich nicht auf so eine Freundschaft ein. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. "

Aber ich war emotionsblind und machte mich auf den Weg zu etwas was ich zutiefst verabscheue. Ich log weiter. 

Dann wurde es real und mir wurde klar: mich hat eine abartige verfluchte Deppression erwischt und ich muss da raus.

Hinzu kam die Verlustangst. Ich rannte vor mir selbst weg. Unfähig mich in jemanden hineinzuversetzen. 

Auf den größten Haufen scheisst der Teufel noch einmal drauf. mein Zwillingsbruder hinterließ mir die Mädels und ging ohne dass wir uns versöhnt haben. Und ich stand da mit eimem kleinen traurigen Mädchen, mit einem pubertierenden Mädchen, das damals schon einen Kopf größer war als ich und mit einem umbaureifen Haus und seine Exfrau wollte Geld, war ihr als Erbteil zustand. 

Ich war das was ich wollte: allein sein.

Ich hatte Verantwortung und Verpflichtung. Die Mädels wurden mir in die Arme gelegt, wie bei ihrer Taufe. Also hatte ich mich zusammenzureißen.

Ich bekam einen Kollegen als Freund. Wir trauerten gemeinsam. Er um seine Tochter und ich um alles und alle die mir nahe waren. Ich erzählte ihm meine Eskapaden und ließ nichts aus. "Ich weiß wie du wirklich bist. Das ist eine gute Basis für Alles." sagte er nach langem Schweigen.

Wir verliebten uns ineinander und jeder schüttelte nur den Kopf über uns. Die Scheidung war durch und rechtskräftig. 

Ich bekam von allen Seiten gezielte Hilfe. Die meiste Hilfe bekam ich von Lars und von den Mädels. Denise meldete sich ab und zu und wir trafen uns öfter. Die Liebe zu Lars begann langsam. Zuerst wurden wir Freunde. Ich liebe ihn auf eine leise Art. Er ist ein leiser Mensch. Ich bin ein leiser Mensch. Er liebt mich auf seine Art. 

Die Schwangerschaft rüttelte mich wach. Ich übernahm jede Menge Verantwortung, arbeitete viel und wollte weiterkommen.

Ab und zu dachte ich noch an den Menschen den ich zum ersten Mal innig und tief liebte. Ab und zu laß ich in seinem Blog. Ich wollte nur wissen wie es ihm geht, was mit seiner Nierenerkrankung sei. Und wenn er über seine Schmerzen schrieb, weinte ich mit ihm. Dann stellte er sein Blog auf Privat. 

Ein guter Schritt, so konnte ich ihn ganz loslassen. 

Ich erinnere mich als ich ihm ein Märchen von einem Tannenbaum vorlas als er Schmerzen hatte, dass ich für mein Patenkind Fabienne geschrieben habe als sie klein war.

Ab und zu denke ich  ihn sporadisch und denke schnell wieder weg. Ein Restschmerz ist immer noch da. Es schmerzt mich immer noch diesem Menschen sehr weh getan zu haben. Für ihn bin ich eine Lügnerin, sonst nichts. Er hat sich bestimmt wieder neu verliebt, oder ist vielleicht mit einer Frau sogar zusammengezogen. Ich denke immer weniger an ihn. Ich muss endlich damit abschließen. 

Ich denke ihn weg und versuche so mein damaliges  abartiges Verhalten aus meinem Herzen zu entfernen. Aber es gehört zu meinem Leben. 

Als Zoé zwei Wochen zu früh geboren wurde, war ich überglücklich und hatte Angst um sie. Ich beobachtete ihr Atmung beim Schlafen, Ich rannte mit ihr zum Kardiologen, wir machten jede Menge Tests. Wir befürchteten beide eine Wochenbettdeppression, aber anhand der Familieanamnese gab es viele Gründe besorgt zu sein. Wir konnten aufatmen, denn sie war ein gesundes Kind und entwickelte sich sehr gut.

Ich arbeitete und er nahm sich Elternzeit. Es fühlte sich alles richtig an. Ich konnte mich auf ihn 100% verlassen.

Beruflich wurde es immer hektischer und es fielen immer mehr Überstunden an. Ich war körperlich  erschöpft. 

 Als Oma ging fragte mein Bruder René : "Und nun, was machen wir jetzt? Ich möchte hier nichts verkaufen, wofür alle hart gearbeitet haben."

"Ich brauche nichts von dir, keine Panik." sagte ich genervt. 

"Sei doch endlich mal vernünftig, darum geht es doch nicht. Dir liegt nichts an uns, aber lass uns eine Lösung fonden Ich muss auf euch zählen können."

Spontaner als ich, enschied sich Lars mit mir nach Hause zu ziehen. Und ich fragte ihn ob es sein voller Ernst sei. Und er sagte nur "Ja," so wie ich zu ihm "Ja" sagte. 

Der Umzug war hart. Er setzte sich mit den Angelegenheiten von den Mädels auseinander. Sachlich und diplomatisch. 

Wir gaben unsere allerletzte Party vor Corona und verabschiedeten uns.

Ich übernahm die Praxis von Maman. Als ich vorschlug, dass wir alles bis auf die Farbe unserer Unterwäsche, wie man hier zu sagen pflegt, zusammen entscheiden und keiner allein, war er gerührt.

Nils kam ungeplant und ich hatte nur ein wenig Angst um ihn, da er ganze vier Wochen zu früh auf die Welt kam und mitten in einer schwierigen Zeit.

"Wenn wir das einigermaßen hinkriegen, dann schaffen wir alles."  Er hatte endlich seinen Jungen. 

Ich bin wieder ich. Ich kann wieder spontan sein, fröhlich sein, fühle mich nicht eingeengt. Wenn ich mir Sorgen um die Praxis oder um meine Lieben, findet er immer eine Lösung.

Ich kann wieder durchschlafen und fühle mich zu Hause. 

Marie-Émilia


P.S. ich frage mich oftmals aus der Angst heraus: ob ich jedem weiteren Unglück gewachsen bin. Das ist meine Urangst. 

Weitermachen bedeutet meistens, etwas zurückzulassen. Was am meisten schmerzt, ist die Entfernung bis man nur noch einen Punkt sieht, oder man selbst ein Punkt wird. 









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