die leere Ecke

Zum ersten Mal seit ich zurück bin, träumte ich von Opa. Als er starb war ich 15 Jahre als und 2 Tage. Er klagte über seinen Kreislauf und er würde einen Mittagschlaf machen, in der Hoffnung, dass es ihm danach besser ginge.

Im Traum stand er hinter der Tür und erschreckte nicht Oma sondern mich. Opa hatte wenige graue Haare als er starb. Ich sah ihn mit schneeweißen Haaren vor mir und er blinzelte mit beiden Augen wie eine Katze. Er streckte die Hand nach mir aus und ich hörte mich sagen "Oma kommt nicht"

Er blinzelte und sagte Du.... du... und ich wollte wegrennen und war wie gelähmt. Und ich versuchte rückwärts zu gehen. Ich tretete auf dem Fleck. Und ich konnte kaum aus dem Traum heraus.

Und jemand redete auf mich ein.

"Dann sah ich Lars über mich gebeugt und hörte ihn. Du strampelst die Decke weg." Er deckte mich zu. Ich schmiegte mich an ihn und ich fühlte meinen Herzschlag bis in den Rachen und bis in die Ohren. 


Ich erinnerte mich:


"Du hast schon wieder deine Blutdrucktabletten vergessen!" schrie ihm Oma hinterher.

Ich machte in meinem Zimmer meine Hausaufgaben und hörte dabei Musik. Rock und Folk hörte ich schon damals gern. Ich hatte einen CD-Turm von Opa geschenkt bekommen, den ich neben mein Bett gestellt hatte, damit ich die CD immer griffbereit hatte. Maman kaufte mir einen PC mit Windows 95 und ich machte meine Hausaufgaben am PC, brachte mir Word bei. Eine Schulfreundin war bei mir zu Besuch und wir lernten zusammen.

Wir vergaßen alles um uns herum, als wir  gemeinsam die damaligen Funktionen von Word testeten.

Gegen 17:00 bekam ich Hunger. Wir gingen in die Küche und ich lud meine Freundin zu einem Butterbrot mit geräuchertem Schinken und saure Gurken ein.

"Hast du Opa gesehen?" fragte Oma. Als ich verneinte ging Oma ihn suchen. Sie rief im Hof nach ihm und dann fiel ihr ein, dass er Mittagschläfchen machen wollte, dann ging sie ins Schlafzimmer. 

Ich nahm alles nicht so ernst. Opa machte immer irgendwelche Scherze. Oftmals versteckte er sich hinter der Tür um Oma zu erschrecken. 

"Oh du alter Bock!" rief Oma dann meistens aus.

Wir Mädels saßen am Tisch und aßen. 

"Er ist ganz kalt!" rief Oma und rannte zum Telefon im Flur. Rief den Notruf. Meine Schulfreundin verabschiedete sich urplötzlich und ich rannte zu Oma ins Zimmer. Oma konnte Erste Hilfe aber sie konnte ihn nicht zurück ins Leben holen. Auch die Sanitäter konnten nichts mehr für ihn tun.

Opa schlief friedlich weiter für immer.

Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst vor dem Einschlafen. 

Erst Wochen danach realisierte ich diese Endlichkeit. Opa war nicht mehr da. Er erschreckte Oma nicht mehr. Ich wollte nicht mehr allein in die Küche gehen oder allein in der Küche bleiben.

Und wenn keiner daheim war, aß ich nichts. Und ich aß auch mit Oma und Maman nicht gerne in der Küche.

Ich kaufte mir von meinem Taschengeld immer irgendetwas. Orangen und Zitronen liebte ich abgöttisch. 

Ich bekam Magenschmerzen, hatte grippeähnliche Symptome. Ich krümte mich vor Schmerzen. Maman ließ mir Blut abnehmen, brachte mich zu einem Internisten und am nächsten Tag musste ich nüchten in die Praxis und zwei Behälter mit Kontrastmittel trinken bevor ich eine Magenspiegelung bekam.

Hypoacide Gastritis.

Ich bekam Schonkost bis sie die Magenschleimhaut wieder erholte.

Maman zerrte mich in die Küche, drückte mich auf den Stuhl. "Bis der Teller nicht leergegessen hast, lupfst du dich nicht vom Stuhl." Ich saß da und starrte in die Ecke, hin zur Tür zu Opa's.

"Du sitzt da bis der Teller leer ist!" ermahnte mich Maman erneut.

Oma sah mich an, folgte meinem Blick und meinte: " Du musst etwas essen. Opa wäre stolz auf dich wenn du wieder rosige Bäckchen bekämst und nicht so käsig herumrennst."

Maman setze sich zu mir und erklärte wie Opa einen stillen Herzinfakt hatte. Und Geister gäbe es nur in billigen Filmen. Maman glaubte nicht an eine Unendlichkeit der Seele. "Weg ist weg." 

Irgendwann war dann auch mein Teller leer. 

Ich hatte lange mit der Gastritis zu kämpfen und mit der leeren Ecke hinter der Tür.  "Das Haus hat er umgebaut und überall sind seine Hände und wenn du willst, auch seine Seele. Und das ist schön. Er war ein wunderbarer lieber Mensch. Das hat er alles gemacht und das ist seine Erinnerung und keine leblose Gestalt." tröstete mich Oma.

Maman erklärte mich aus medizinischer Sichtweise den Tod.

Er gehört zum Leben, wie eine Geburt. Das Ende gehört dazu.

Irgendwann stellten mein Bruder un ich uns in die Ecke und wollten Oma erschrecken.

"Kommt vor, ihr könnt das nicht," lachte Oma. "Opa konnte mich nicht erschrecken, ich ließ im nur seinen Spaß daran."


Als ich mich dann schlussendlich aus dem Traum hreausreißen konnte, fühlte ich mich fiebrig, hatte Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und mein Hals war aufgeraut wie ein Reibeisen.

"Kalt," murmelte ich im Halbschlaf.

Dann war ich wach.

Aprilgrippe. Was für ein Mist.  Genesungswochenende.




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