ein neuer Morgen

Sonntag-Bereitschaftsdienst im Krankenhaus. Keine Pflicht, aber man sollte sich verpflichtend fühlen. Die meisten Fachärzte machen das auch und man hat auch Vorteile.

Der Handywecker klingelte um 06:00 Uhr.  Ich duschte, trank zwei Espresso und legte mir alles parat um bei Anruf gleich loszustarten. Ich hoffte, dass man ohne mich auskommt, aber Pustekuchen. Um  08:17 klingelte mein Handy. Ich sprang vom Frühstückstisch auf, zog mich um und schon war ich auf dem Weg zur Klinik.

Mich erwarteten, was sonst, eine Hüftpfannenfraktur, 2 OP  und noch ein paar Patienten die untersucht werden mussten. Vom Tag blieb viel in meinen Gedanken und auch in meinem Herzen.

Der Patient ein betagter Mann, mitte 83 Jahre alt, dement, sah mir in die Augen. Seine Augen hatten die Farbe eines stillen Meeres im Sonnenlicht. Er hatte ein Lächeln über das ganze Gesicht. Sogar seine Augen lächelten. Teilweise war er logisch und konnte gezielt Fragen beantworten und teilweise wehrte er sich wie ein kleines Kind gegen jeden und alles. 

Schwiegertochter und Sohn begleiteten ihn. Er sei vor zwei Tagen aus dem Bett gefallen und hätte starke Schmerzen. Er wäre aggressiv, würde beissen und kratzen, so die Schwiegertochter. Er würde niemanden an sich heran lassen. Würde die ganze Nacht herumschreien. Sein Bein wäre anders. Der Notarzt hätte ihn dann ins Krankenhaus eingewiesen.

Der Patient lächelte mich immer noch an und seine Augen waren so hoffnungsvoll auf mich gerichtet, als würde er erwarten, dass ich sage, wie Oma das immer gesagt hat. "bis Morgen früh ist alles weg."

Ich musste ihn untersuchen und bat die Schwestern in der Notaufnahme ihm erstmals die Windeln zu entfernen und waschen, damit ich ihn untersuchen kann und damit er so schnell wie möglich Röntgen und CT bekommt. Er schrie vor Schmerzen auf. Ich redete auf ihn ein, dass wir die Untersuchung gleich beenden würden, dass die Schmerzen bald weg wären. Erstmals schlafen....Als er noch eine Dosis Schmerzmittel bekam, konnte ich ihn untersuchen und er war wieder logisch.

Er schloss die Augen und murmelte "erstmals schlafen...."

Ich wollte mich vom Patienten verabschieden, denn wenn die Diagnose durch CT und Röntgen bestätigt wird, wird er in den OP gefahren und bekommt ein Hüft-TEP eingesetzt und das machen die Orthopäden, da nahm er meine Hand und drückte sie fest. "Ich komm wieder zu dir." sagte er und lächelte mich mit seinem vom Alter verfärbten aber gut erhaltenen Zähnen an. Er hatte so viel Hoffnung.....und er winkte mir zu als er den Flur entlang zum Röntgen gefahren wurde. Er klagte nicht über Schmerzen, er redete kein wirres Zeug, er war nicht aggressiv und hätte keine Schmerzmittel genommen. Der Notarzt hatte ihm etwas gespritzt obwohl der Patient palliativ behandelt wird und sogar eine Patientenverfügung hätte.

Ich musste mich zusammenreißen um die beiden nicht anzubrüllen. Ich wollte fragen ob er dann wie ein Tier leiden sollte bis .....zum Ende...aber dann .....sie wollten wissen wie es nach der OP weiter gehen wird. 

Ich erklärte ihnen den Ablauf und der riesengroße Unterschied zwischen Notfallmedizin und Palliativmedizin. Das was der Mann notariell festgelegt hat und das was jetzt für ihn getan werden muss. 

Während ich anschließend auf dem Weg zu einer mir zugeteilten OP war, begegnete ich dem alten Mann erneut. Er erkannte mich und winkte mir zu...."he he Mademoiselle warten sie!" Ich ging zu ihm wünschte ihm und dem OP-Team viel, ganz viel Glück  "Bis Morgen" rief er und warf mir eine Kusshand zu. Ich winkte ihm und verschwand im OP.

Auf was hoffte er? Immer  wieder auf einen neuen Tag, auf seinen neuen Morgen....immer wieder... 

Eine Frau mittleren Alters mit einer entzündeten Gallenblase. Ein Teenager der sich mit einem defekten  Skateboard eine Tibiafraktur zugezogen hat.

Ein Mann mittleren Alters mit viel zu hohem RR  der sich durch einen Sturz an der Augenbraue verletzte und genäht werden musste.

Ein OP-Leiter der mir die trotz allem.....nun ja....seine Hand auf meine Schulter legte und sich für meinen Einsatz bedankte. Das ist nicht selbstverständlich. 


"Ich möchte mich mehr mit Palliativmedizin auseinandersetzen. Ich möchte mich darauf spezialisieren. Was sagst du dazu?" fragte ich Lars. Seine Meinung ist mir wichtig.

"Ich unterstütze dich. Ich schließe mich an." Nächste Woche registrieren wir uns und reservieren uns
Seminarplätze. 

Es gibt Menschen die inspirieren. Und wenn man solchen Menschen begegnet sollte man dankbar sein.....Gott, dem Universum oder sogar diesen Menschen.

Ich denke der alte Mann ist sehr gut bei seinen Lieben aufgehoben und er wird weiterhin auf einen neuen Morgen hoffen.

Demenz wird sehr demonisiert. Man sollte versuchen ihr gegensteuern. Man sollte nicht gleich erschrecken wenn das Kind im alten Menschen sich zeigt. Das ist der Kreislauf der Natur der sich schließt. Der Mensch wird zum hilflosen alten Baby. Vielleicht messen sie die Zeit in Erinnerungen und nicht in Sekunden die der Uhrzeiger auf dem Ziffernblatt abläuft. 






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