Wintergedanken im April

Als ich etwa vier Jahre alt war, brachte meine Maman mich und mein Bruder eines Tages in den Kindergarten. es war Winter und schneite. Ich erinnere mich an den kalten Wintermorgen und an die unzähligen dicken Schneeflocken die auf meinen dunkelblauen, etwas zu großen Wintermantel mit einer riesengroßen Kaputze fielen.

104 ist die normale Kleidergröße für vierjährige. Aber ich was zu klein für eine Vierjährige. Der Mantel war viel zu schwer für meine dünnen Knochen. Maman musste sich beeilen, da sie zum Dienst musste.

Und wenn sie in Eile war, sah das Morgenritual so aus. Mäntelchen an, Strickmütze gut über die Ohren, Kaputze über die Mütze gezogen. Stiefelchen mit Fell an, die schwer wie Felsbrocken an den Füßchen waren und ab durch die Mitte. Von den wolligen unaussprechlichen Einfingerhandschuhen ganz zu schweigen. Die immobilisierten meine Hände und Ärmchen gleich mit. Die Krönung war der Wollschal den ich um Mund und Hals gewickelt bekam. Ich konnte kaum durchatmen, mein Füßchem schmerzen vom 10 Minuten-Fußmarsch. Die Strickmütze bedeckte immer wieder meine Augen und Maman zog uns neben sich her.

Ich blieb vor Müdigkeit stehen. 

"Komm, du Süßes, gleich sind wir da. Nur noch ein paar Schritte. Die ein paar Schritte schienen sich endlos zu vermehren.

Im Kindergarten angekommen war ich hundemüde und die Haare waren nassgeschwitzt. Ich hatte rote Bäckchen wie Rotkäppchen und die Tante hatte eine schrille hohe Stimme. Die hätte am liebsten Opernsängerin werden sollen mit ihrer Sopranstimme.

"Möchtest du dich endlich auf deinen Platz setzen?" ermahnte mich die Erzieherin, da ich immer noch beschäftigt war meine Hausschuhe mit meinen kraftlosen Händchen anzuziehen. Klettverschlüsse könne für kleine Händchen zur Herausforderung werden.

Endlich saß ich am Tisch. Die Frühstücksrunde wartete auf  mich  tolpatschige Prinzessin.

"Es wird Milch getrunken und kein Wasser. Tee gibt es heute nicht." forderte mich die Miterzieherin auf. Zwei Erzieherinnen für 15 Kinder in der Gruppe und keine hatte Zeit Teewasser zuzubereiten.

"Auf was wartest du noch? Los, trinke deinen Becher leer.

Mein Zwillingsbruder schrie "die darf keine Milch trinken. Sie bekommt Bauchweh!"

"Sei Still!" rief die Sopanstimme.

Ich trank artig ca 200ml kalte H-Milch. Kaum hatte der Milchfluss die Magenschleuse erreicht, spuckte ich den ganzen weißen Fluss über meine Kleidung. 

"Sie hört nicht mehr auf mit spucken!" schrie die Sopranstimme.

Ich schrie und spuckte und hustete weil ich mich verschluckte. Dann lag ich da auf dem Teppich auf dem Fußboden und fror. Die Kindergarten kinder beugten sich über mich. Einige legten Spielzeug neben mich. 

Dann ging die Tür auf uns mein Vater brüllte los. "Wenn mit ihr etwas passiert, Gnade euch Gott!" Er hob mich hoch, forderte meinen Bruder auf seine Tasche zu mehmen. Er zog uns die Stiefelchen an, nahm unsere Mäntel und Mützen und setzte uns ins Auto.

Zu Hause legte er mich auf die Couch, zog mich aus und wickelte ein Badetuch um mich. Dann badete er uns, zog uns die Pyjama an und legte uns ins große Bett. Dann setzte er sich neben uns und sang uns ein Lied nach dem anderen.

Ich bekam große Augen und große Ohren und bekam den Mund nicht mehr zu. Ich lauschte. Kein Wort verstand ich. Es war Englisch.

Ich glühte fieberig. Mein Vater wusste sich zu helfen.  Er wickelte meine dünnen Beinchen in ein mit Apfelessig mit Wasser verdünnt getränktes Leinentuch und ein Badetuch. 

"Kaaalt! Es ist kaaalt!" schrie ich und wehrte mich gegen die Packung.

"Pass auf du kleiner Quälgeist. Du darft nicht krank werden. Also packen wir die Füsschen ein und legen ein Tüchlein auf deine Stirn und ich verspreche dir das Fieber wird verschwinden. Und dann? Was tun wir dann?" redete er auf mich ein, während er mich einwickelte.

"Weiss ich nicht!" wimmerte ich.

"Wir kaufen diese Äffchen. Wie heißen die denn?"

"Monchichi." krächste ich.

"Mon....auch egal, genau. Also die Wickel kühlen." 

"Power Ranger auch!" mein Zwillingsbruder lag artig neben mir und sah mich erwartungsvoll an.

"Was ist das denn? Ach egal, wir fragen im Geschäft danach. Wir kaufen die." versicherte er.

Wir wussten, dass es bei ihm entweder eine Zusage oder eine Absage sein wird. Ja und Nein und kein Dazwischen.

Durch den Tag erbrach ich mich noch einige Male und bekam Fieber. Mein Hals schmerzte und ich konne nicht einmal schlucken.

Als Maman nach Hause kam, untersuchte sie mich.  "Du hast aber eine heftige Mandelentzündung!" 

Mein Vater kramte alle Schimpfwörter aus für die Erzieherinnen.

Und wir hatten eine Woche jeden Tag super Vatermusik.

Darauf freuten wir uns beide. 

Mit Mühe fanden sie nach 4 Monaten für uns einen anderen Kindergartenplatz. Er hatte immer Angst um uns. Es könnte ja etwas passieren.

Mein großer Bruder durfte seine Hausaufgaben an dem Tag sogar ausfallen lassen.

Das war die wunderbare Seite meines Vaters.

Für diese Seite wurde er geliebt.

Für die Rotweinseite gefürchtet.

Er war ein Familienmensch durch und durch, aber ein kontrollsüchtiger, eifersüchtiger Mann für meine Mutter und in all seinen Beziehungen.


Oftmals frage ich mich, wieso ist man in der Liebe ganz anders, als im Leben? Wird in der Liebe diese Fragilität auf die Zerreissprobe gestellt? Sei stark oder reiße? Gibt man vorher kampflos auf, weil man den logischen Sinn darin nicht sieht?

Rotwein machte meinen Vater unberechenbar. Und ich mag keine rotweintrinkenden Menschen um mich herum. 





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