Martinsfeuer.

 Wir, mein Bruder Fabián und ich, sangen für eine Weile im Kinderkirchenchor mit. Wir waren keine schüchterne, ängstliche Kinder, aber ich wollte nicht vor vielen Leuten singen. Fabián hatte damit kein Problem, denn er hatte eine wunderschöne Tenorstimme und er konnte singen. Er war eh geselliger als ich. Er wurde gern gehört, wie er stimmlich überragte. Bei mir hingegegen - so hatte ich das Gefühl - wartete man sehnsüchtig darauf, dass ich aus meiner Schüchternheit heraus so blockierte und den Text vergaß. Man war gespannt wann ich patzte.

Die Proben waren für mich schon eine Qual. Wir bekamen jeweils ein Gesangsheft in die Hände gedrückt und für Kinderhände ist ein DIN 5 Heft schon schwer um Seite für Seite umzublättern. Wer sich so viel Mühe machte um die Notenblätter auf die Seiten zu kleben, war etwas ungeschickt. Sie Seiten waren viel zu steif um sie um geräuschlos umzublättern.

"Mach mal bitte den Mund auf, damit auch ein Ton herauskommen kann!" sagte der Chorleiter und fixierte mich mit seinen dunklen Augen streng. "Dein Bruder gibt sich sehr viel mehr Mühe als du."

Ich versteckte mein Gesicht hinter dem Gesangsheft, damit niemand sehen konnte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten und meine Wangen sich tomatenrot färbten. "Der Junge singt schön, aber das Mädchen hat eine viel zu leise Stimme, " hörte ich die alten Frauen in der ersten Reihe miteinander laut flüstern.

Nach der Aufführung an Martinsfeuertag musste ich nicht mehr hin. 

Am Martinsfeuertag liefen wir in einer Prozession durch ein kleines Wäldchen bis zu einem Acker.  Da sang ich noch mit und ich gab mir große Mühe meine Stimme zur Geltung zu bringen wie Fabián. Nun ja, immerhin war ich etwas lauter. Ich freute mich für meinen gelungenen Auftritt und rannte und hüpfte den anderen Kindern nach. Ich hüpfte über kleine Äste und zweige die die Waldarbeiter achtlos liegen ließen und verfing mich irgendwie in einem rostigen Draht. Mit einer zerkratzten blutigen Wade kamen mein Bruder und ich zu Hause an. Maman säuberte die Kratzer und da mein Impfstatus eh aktuell war, machte sie sich wegen Tetanus keine Sorgen.

Nach dem Nachtessen mussten wir ins Bad zum Zähneputzen.

"Aaaalleees in Ordnung mit dir" hörte ich Fabian mit der Zahnbürste im Mund sprechen. Ich wollte etwas sagen, aber da war ein Rauschen in meinen Ohren und meine Stimme war weg. Ich hörte nur noch das Rauschen in meinen Ohren und meinen Herzschlag gegen mein Trommelfell.

Als ich die Augen aufschlug lag ich in meinem Bett und mein Bein tat höllisch weh, als meine Maman mir eine neue Strumpfhose anzog,  mein Opa mich hochhob und mich zum Auto schleppte. Maman setzte sich zu mir auf den Rücksitz, hielt mich in ihren Armen und Opa fuhr uns in Krankenhaus.

Dort angekommen ging es mir wieder gut. Ich fühlte mich stark. "Mir geht es gut!" versicherte ich dem Kinderarzt.

Er lachte und meinte, dass wir trotzdem auf  Nummer Sicher gehen müssen. Blutentnahme und EGK und Wundversorgung folgten und ich durfte nach einer gefühlte Ewigkeit nach Hause. Fabián und René hatten Angst um mich und heulten wie Schlosshunde.

Meine Sorge war das Chor. Ich wollte da nicht mehr hin. Und ich musste nicht mehr hin. "Ich mag nicht singen, wenn alle mich ansehen." beschwerte ich mich. Und Opa ordnete bestimmend an: "Das Kind muss nicht in die Kirche, wenn es nicht dahin will. Die sollen ihren Scheiß allein singen." Opa glaubte zwar an Gott, aber mit der Kirche hatte er es nicht so. Seine Gründe waren eher politischer Art und seine Meinung darüber sehr deutlich und seine Wortwahl war nicht kindgerecht. "Die Kirche ist wie eine Hure. Sie läuft jeder Regierung hinterher." 

Zwei Ausnahmen gab es: Kommunion und Firmung. "Danach musst du nicht mehr in die Kirche, wenn du nicht willst." sagte Maman. 

Es gab keine Martinsgans, dafür sorgte Opa. Er war gegen Traditionen. 






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