Espresso zum Entmissen

Es ist auf die Sekunde genau 05:00 Uhr. Es hört sich an als würde sich das Haus aus dem Schlaf erwachen und sich strecken. Im Keller springt der Heizkessel aus seinem Schlaf und zieht ordentlich Wasser. Und wie durstig er ist.

Dann fließt das Wasser durch die Rohrvenen. Ich bin wach. Die Jalousien fahren hoch und das kratzende Geräusch erinnert mich daran, als würde jemand den Asphalt vom Schnee freikratzen.  Die Morgensonne blinzelte durch die Fensterscheiben.  Das letzte Schlafkörnchen ist aus den Augenwinkeln gewichen, also kann ich ganz leise aufstehen um niemanden zu wecken. 

Heute ist ein besonderer Ostermontag. Heute wäre Mamans Geburtstag. Hat man eigentlich post mortem auch Geburtstag? Ich vermisse sie. An Feiertagen ist mein Vermissen eine gefühlte Unendlichkeit. In der Küche weine ich lautlos vor mich hin. 

Wie in einer Zeitlupe gefangen und mit tränenverschleierten Augen entferne ich das restliche Chaos vom Osterfest, das restliche Geschirr sortiere ich in die Spülmaschine ein und decke den Frühstückstisch. Routinemäßig. Bei mit fühlt es sich schon als Chaos an, wenn nur eine vergessene Serviette noch auf dem Tisch liegt. Nirgendwo bin ich empfindlicher als in der Küche. Die muss blitzsauber sein. 

Wenn man kleine Kinder hat, kann man Feiertage nicht einfach ignorieren. Also gab es gestern zum Osterfest für sie Osternester im Garten. Emsig rupften sie das noch frühlingscrude Gras und formten daraus ein Osternest.Mit Grasflecken auf der Kleidung kamen sie ins Haus gerannt und hielten immer wieder Ausschau nach dem Hasen. Jeder Feldhase hastig quer durch den Garten rannte, war Zoés Meinung nach der Osterhase. 

Beim Oster-Essen waren wir alle Erwachsenen irgendwie in unseren Herzhäuten gefangen.  Am liebsten hätte ich mich den ganzen Tag im Garten aufgehalten. 

Das Wetter war frühlingshaft wunderschön. Die Natur blüht im Augenblick pastellfarben. Die fragilen Blüten an den Apfelbäumen zitterten im lauwarmen Frühlingswind.  Ich hatte mich unter einen Apfelbaum gesetzt und genoss den zart süßlichen Apfelduft. 

Lars und ich hatten beide Bereitschaftsdienst und wir hatten den gleichen innigen Wunsch: "Bitte kein Anruf!" 

Nils zahnt zur Zeit ganz heftig und obwohl er ein sehr ausgeglichenes und ruhiges Kind ist, weinte er fast den ganzen Nachmittag. Erst als das winzige Mäusezähnchen das Zahnfleisch durchbrochen hatte, ging es ihm gut und er zeigte stolz sein neues Zähnchen.

Maman hätte ihren Geburtstag nicht gefeiert. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt. Aber Ostern und Weihnachten legte sie sich richtig ins Zeug. Sie gab alles. Und wenn sie die ganze Nacht in der Küche stand, sie war an diesem Tagen wunderbar kreativ. 

Das Leben geht weiter, so sollte es auch sein. Das Herz aber blickt ab und zu zurück und oftmals wandert es ein Stück Weg zurück und besucht alle die es irgendwann zurück lassen musste.  Wenn nur für einen Augenblick oder nur für eine bestimmte Zeit, ist die Hintergrundmusik des Herzens etwas melancholischer.

Nach dem Frühstück fahre ich in die Praxis um da die Monatsabrechnung(März) zu machen, damit Ende April alles pünktlich da ist wo es sein sollte. Zu Hause kann ich mich nicht konzentrieren. Nils weicht mir nicht von der Seite und er lässt sich mit nichts ablenken. Und wenn er nur ganz still auf meinem Schoß sitzt, er muss da sein wo ich bin.

Allein in der riesigen Praxis zu sitzen ist ein etwas mulmiges Gefühl. Lars hat Frühdienst in der Klinik.

Während der Pause hat er zig Nachrichten abzuhören und zu lesen.

Ich lese mich durch die Patientenakten und versuche jeder Akte ein Gesicht, ein Leben und Augenblicke zuzuordnen.




Jeder Mensch hat seine Herzgeschichte. Einige kommen nur ein paar Male in die Praxis. Ein Unfallpatient zum Beispiel, kommt, lässt sich medizinisch versorgen, kommt zur Nachuntersuchung und dann ist die Akte zu. 
Ich mag Menschen die leise Spuren hinterlassen und keine Narben.Sie sind auf einmal da, sind leise, freundlich, bedanken sich und gehen.


Einige bleiben für Monate, für Jahre. Und es entsteht eine Art Bindung. Sie sind humorvoll trotz schwerer Krankheit, sie inspirieren mich, sind empathisch auch wenn ich nicht im Nu alles wegzaubern kann.


Ich mache einen kleinen Spaziergang und bewundere die blumigen Anlagen. Man gibt sie immer viel Mühe damit. Es ist so viel Leben draußen und ich muss wieder zurück.


Lars wird nach dem Dienst vorbeikommen, hat er geschrieben. 

Ich bin noch richtig gut motiviert und schätze, dass ich bis spätestens Freitag alles gepackt habe.
Diese Woche habe ich Spätdienst. Vormittags werde ich mich in meinem Büro einschließen und arbeiten.

Maman ist heut
.e meine Hintergrund
musik.
Sie ist leise in ihren Worten. Sie schrie selten.
Was genau in ihrem Herzen und in ihren Gedanken vorging, wusste nur sie.
Aber sie hatte viel Liebe. 
Wenn sie wütend war, sagte sie Worte die weh taten, oder nachdenklich stimmten. Danach hatte sie alles "vergessen."

Ihre Worte sind mir heute Musik. Sie sind Refrain.
Ich stehe auf, um mir einen Espresso zuzubereiten. Für einen Augenblick zögere ich: "Hast du auf die Uhr gesehen? Kaffee ist nicht gut für dich."

Ich gehe zurück in mein Büro und arbeite weiter.
Kaffee Verträge ich nicht. Mehr als 2 Espresso pro Tag auch nicht.

Und das Vermissen? Es müsste einen Espresso gegen das Vermissen geben.



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