Clementinen

 Tante hat mich gebeten mit ihr noch einiges für das Einmachen zu kaufen fahren.

"Ich brauche noch Nelken und Vanille" stellte Tante fest und rannte voraus. " Die haben die ganz süßen Clementinen. Ich kaufe mir gleich zwei Netze davon, Mein Nachtessen für heute." freute sich Tante.

Clementinen......ich liebe sie .....

Mein Bruder Fabian und ich waren sechs Jahre alt und in der ersten Klasse und vier Monate darauf trennten sich unsere Eltern. Es war Anfang Oktober und es regnete seit Tagen ununterbrochen.René der fünf jahre älter war als wir und wir Zwillinge waren  sozusagen Schlüsselkinder. Meine Manam arbeitete Schichtdienst in der Klinik und mein Vater war selbstständig mit Bauarbeiten, wie Parket- und anderen Böden, Türen und Fenster einsetzen, Stuckateurarbeiten, Restaurierungen. Vermessungsingenieur hat er gelernt, aber damit meinte er kann man kein Geld machen und machte sich selbstständig.

Fabian ging es schon den ganzen Morgen nicht gut. Er war blass und fieberte. In der zweiten Schulstunde musste er sich übergeben und die Lehrerin wollte unsere Eltern anrufen. Wir wussten nicht wo wir unseren Vater erreichen konnten, denn Handys gab es damals noch keine. Es gab diesen D1 Funk, aber so einfach durften wir ihn nicht anrufen. Maman wollten wir nicht abrufen, sonst würde Vater wieder einen Wutanfall bekommen und ihr Vorwürfe machen.

Ich versprach Fabian schnell nach Hause zu bringen und Oma anzurufen. Damit gab sich die Lehrerin zufrieden. Die Mutter meines Vaters war damals alt und konnte sich nicht mehr einfach in den Bus setzen und zu uns fahren. Sie konnte nicht mehr so gut laufen. Sie ließ sich von Vater überall hinfahren. Wir riefen sie auch nicht an. Sie hätte die Lage dramatisiert und Maman wäre in ihren Augen die Schuldige, die schlechte Mutter und die unfähigste Frau der Welt gewesen. Und ihr Sohn, mein Vater, hätte einen Grund auszurasten gehabt.

Die frische Luft tat Fabian gut und er fühlte sich etwas gestärkter. Als wir zu Hause ankamen zog er sich um und legte sich ins Bett. Ich brachte seine Kleidung in den Wäschekorb. 

Er rief nach mir und weinte und erbrach sich wieder und wieder. Ich stellte den Stuhl an den Wohnzimmerschrank kletterte auf den Stuhl und griff nach dem Fieberthermometer. Stirn an Stirn starrten wir auf das Display, "Ist 38, 7 ° C hoch?" fragte ich. 

"Weiss ich nicht," weinte Fabian und klagte wegen Kopfschmerzen.

"Essigwasser!" rief ich. Ich nahm zwei Gästehandtücher aus dem Badschrank, mischte sorgfältig Apfelessig mit Wasser. Ich leerte die halbe Flasche, damit es ja schnell wirkt, tunkte die Tücher in die Essigmischung und legte einen Plastiksack auf das Bett. Ich wickelte seine Füße ein, legte noch ein Badetuch auf die Füße und dann die Bettdecke. Er zuckte nur leicht zusammen, als ich die klaten Handtüchel um seine Beine wickelte.

"Halte still!" schrie ich panisch, Ich musste ihm helfen, damit das Fieber nicht weiter steigt. "Er lag da und bewegte sich kaum."  Ich weinte vor mich hin und versuchte mich zu beruhigen, indem ich nachdachte was Fabian noch helfen könnte. Ich konnte zwar die Uhr lesen aber ich hatte das Gefühl die Zeit würde stillstehen. René würde gegen 14:00 von der Schule kommen. ich versuchte zu rechnen. Um 13:00 Unterrichtsende.....der Bus .....wann kommt der Bus.....er hat was gesagt ....20 nach.....4 Haltestellen sind es.......und dann die Straße überqueren.....aber wenn er mit Kumpel herumtrödelt?......

Noch nie im Leben hatte sich so ungeduldig sehnsüchtig auf jemanden gewartet, wie damals auf René. Ich wechselte die Wadenwickel erneut und Fabian zuckte erneut zusammen. Er döste vor sich hin, hustete manchmal heftig und ich hatte solche Angst um ihn...ich zweifelte an meiner Heilungskunst... ich habe doch den Essig ins kalte Wasser geschüttet, die Tücher eingetaucht und nur die Füße damit eingewickelt. Auf dem Fußboden bildete sich eine Lake, weil ich die Tücher nicht richtig auswringen konnte.....ich wischte das Parkett schnell trocken und stellte eine Plastikschüssel neben das Bett, damit der Boden nicht nass wird. Ich habe doch alles richtig gemacht.....oder doch nicht? Ich legte noch ein Kissen unter Fabians Kopf. Er sollte aufrecht sitzenm damit er nicht mehr so stark hustet.....

Ich rannte von einer Ecke in die andere und konnte kaum richtig atmen vor Angst um Fabian.

"Ich habe sooooo Hunger, " er war bis zu den Haarwurzeln durchgeschwitzt als er sich im Bett aufsetzte. 

Ich griff in den Obstkorb der mit Clementinen und Äpfeln befüllt war und schälte ihm eine Clemetine. Er aß als hätte er seit Tagen nichts gegessen. "Die schmeckt lecker!" stellte er schmatzend fest. Ich schälte ihm noch zwei davon. 

"Jetzt ist Schluss damit. ich mache Suppe warm."  Ich mache in der Mikrowelle Hühnereintopf warm, den Maman für uns einen Tag zuvor zubereitet hatte. 

Als Réne nach Hause kam, war das Schlimmste schon überstanden. "Fabian löffelte die Suppentasse leer und ich staunte über seinen Riesenhunger. Ihm muss es ja gut gehen.......Ich kann ihm helfen.....ich bin schon groß.

Damals wussten wir "es waren die Clementinen, die ihn gesund gemacht haben" René lobte mich " du hast das sooo toll gememacht" das war mir so wichtig, weil ich René damals vergötterte. 

"Ich bin so stolz auf meine kleine Puppe!" freute sich mein Vater, dass er vergaß Maman für die Götter und die Welt zu beschuldigen.

Eine Bronchitis und eine Amigdalitis heilte Maman viel besser als ich. Und ich beneidete Fabian um die Genesungsferien. Kaltes Wasser und Eis bescherten mir kein Fieber und keine halsschmerzen und ich trottete jeden Tag zur Schule.

Die kindliche Hoffnung ist noch nicht mit dem Wissen oder Nichtwissen eines Erwachsenen überschattet. Diese pure innocente Hoffnung ist hilfreicher als die erwachsene Hoffnung die man aufgibt weil man meint zu wissen sie wäre sinnlos.

Clementinen .....sie heilen nicht das Vermissen. Sie heilen den Vermissenschmerz. 

Ich kaufte Clementinen für die Obstkörbe und für mein Herz.

Und  nun ja,

was würde ich tun, hätte der Himmel tatsächlich Besuchszeiten? Würde ich tatsächlich für eine Stunde oder zwei da hochklettern, ich stelle mir eine Leiter vor die die Götter oder wer auch immer herunterlässt, damit ich der Reihe nach alle besuche, ihnen von mir und meinem Leben erzähle, sie um Rat frage, oder einfach  nur rede bis die Besuchszeit zu Ende ist.

Die Endlichkeit des Lebens zeigt sich nach diesem Augenblick und ich höre diese Lied noch einmal, um noch einmal zu Träumen.





0 commentaires:

Enregistrer un commentaire