Wie der Regen fällt


Ich war etwa 9 Jahre alt. Nach der Schule rannnte ich meistens zur Bushaltestelle, damit ich den Bus noch kriegte, damit ich nicht 30 Minuten an der Haltestelle warten musste.

An jenem Tag kurz vor den Sommerferien, gab es ein Unwetter. Kaum war der Unterricht zu Ende verfärbten sich die Wolken dunkelgrau, wurden immer größer und dann regnete es. Zuerst fielen ein paar Tropfen und dann regnete es in Strömen. Auf einmal fielen erbsengroße dann krischgroße weiße Hagelkörner aus den Wolken.

Damals trug ich Brille. Eisblaufarben. Eine richtig kitschige Mädchenbrille. Ich konnte sie nicht ausstehen, da ich nicht über den Rahmen schielen konnte und gezwungen war durch das Glas zu sehen. Mama war etwas übervorsorglich und schleppte mich wegen einem vermeintlichen winzigen Silberblick, den nur sie bemerkte zum Ophtalmologe. Nach über einem Jahr Sehschule wo mal das linke Auge und mal das rechte Auge abwechseln zugeklebt wurde um den Sehnerv aus der Reserve zu locken, durfte ich die Brille ganz absetzen. Ich trug dann lange Jahre keine Brille. Ich sah gut und der Silberblick war verschwunden.

Es hagelte und hielt die Brille in der Hand und rannte zum Bus. Meine Wangen schmerzten vom Hagel. ich weinte, weil der Hagel mir die Sicht nahm. Ich war durchnässt wie ein Wasserkätzchen. Der Bus kam nicht und ich drückte mich in die hinterste Ecke der Haltestelle. Da erreichte mich der Hagel nicht. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, hatte Angst und fror am ganzen Körper. Als der Bus dann endlich kam war ich erleichtert.

Zu Hause stellte ich fest, dass ich die Brille verloren hatte, Bis heute weiss ich nicht ob es auf dem Weg zur Haltestelle war oder an der Haltestelle. Sie war weg. Aus der Hand gefallen und verschwunden. 

Mama schimpfte kurz mit mir. Die Brille gehöre auf die Nase und nicht in die Hand. Hätte ich mitgedacht, hätte ich sie in den Schulranzen gesteckt. Ich wäre einfach kopflos gerannt, obwohl es unzählige Unterstellmöglickeiten gab. Was alles hätte passieren können. Blitz, Donner und Hagel, ich bis ins Knochenmark durchnässt, eine wütende Mama und eine Oma die alles und jeden fest im Griff hatte und Opa der haus und Garten nach Unwetterschäden absuchte mit meinen Brüdern debatierte. 

Nach einem warmen Bad wickelte sie mich in ein Badetuch, stopfte mich unter die Bettdecke und Oma kochte mir eine Hühnersuppe.

"Wehe du weinst beim Augenarzt wegen den Tropfen." Mama versuchte streng zu sein, aber sie war herzlich auf ihre Art.

Damals  nach dem Hagel hatte ich die Gewohnheit Menschen im Regen zu beobachten. Ich wollte nicht herausfinden wie Menschen sich im Regen verhalten, sondern wie der Regen auf die Menschen fällt.

Für mich gibt es Menschen, auf die der Regen kindisch in einem spielerischen Rhythmus laut fällt. Ein Regen nach dem die Pilze wachsen und die Hörner der Schnecken herauswachsen. Dann gibt es andere, die der Regen diskret wie ein feiner Schleier umhüllt, der seidig raschelt und die Traufe kaum hörbar summen lässt. Er umhüllt manche mit einem unverwundbares Netz, wie eine Luftblase, still und endlos. Und andere schmückt er die Wangen mit bunten Serpentinen und langen, lustigen Linien,  haftet an ihren Wimpern wie transparente Perlen. Vielleicht liegt es alles an der großen Sensibilität des Regens, seiner Fähigkeit, sich an jedem Menschen anzupassen. Aber ich beobachte heute noch wie der Regen auf Menschen fällt.




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