Augenblicklich

Ich muss es augenblicklich aufschreiben. Nach meiner ersten OP heute Morgen und auch ersten OP dieser neuen Woche habe ich noch einige Augenblicke Zeit bevor ich an einer Besprechung teilnemen muss. Es gibt Änderungen und Änderungen wie Veränderungen machen mich neugierig und ängstlich zugleich.

Ich habe mich etwas herausgeputzt, als ob Herausputzen etwas Gutes beitragen würde. Nicht das kleine Schwarze, Pumps und Make up. Nie im Leben wird man mich so erleben.

Herbstrostbraunweißrotesressoschwarzgraufarben rombusgemustert und extra neu dafür. Italienische Länge und 5cm Absätze schwarz. Kein Make up. Nur Feuchtigkeitscréme von La roche posay. Sonst nur ich und mein rasendes Herz und Lars mit seinem Optimismus und seinem  Humor an meiner Seite.

"Ich hole uns etwas vom Bäcker." sagte Lars als wir unten vor dem Center standen. Wegen der Abstandsregelung dauert alles ein paar Minuten länger.

Ich sehe mich um und entdecke eine kirschfarbene Tür. Die Witterung hat die Tür an einigen Stellen ausgebleicht und die Flecken haben die Farbe von faulen Kirschen.

Es ist so unwarscheinlich, dass das Haus noch bewohnt ist. Es ist auf eine wunderschöne einzige Art verfallen. So als hätte die Zeit daran geknuspert oder ein paar Stücke davon abgebissen. vom Sockel fehlt eine Ecke, das eine oder andere Stück Glasur aus der Mitte. Unter dem Fenster sind die Mauersteine und die Mörtelfüllung zu sehen, als hätte die Zeit aus dem Hauskuchen ein Stück abgeschnitten.

Nur die sonnengebleichten Vorhänge und die Spitzengardinen zieren die staubigen Scheiben.

Solche Spitze wie meine Kindheitsfreundinnen und ich aus alten Gardinen als Brautschleier bastelten. Ich muss lächeln, da ich mich daran erinnere, wie ich als 5-6jährige in den Sommerferien  Oma und Opa besuchte, bevor wir ganz zu Oma zogen. Die Nachbarsmädchen kamen zum spielen vorbei und wir verkleideten uns mal als Braut, mal als spielten wir Tierarzt und untersuchten die Katzen, die Hunde und sogar die Kühe im Stall, oder wir kochten Blumen und Gras und machten Sandkuchen und verzierten sie.

Ich gehe auf die andere Straßenseite und schaue durch die Fenster. Es ist nichts zu sehen. Alles ist dunkel. Nicht einmal eine Lichtlücke zeigt sich. 

Ich stelle mir vor, dass irgendwo im Halbdunkeln jemand auf einer alten Couch, oder an einem alten abgenutzten Küchentisch eine alter Frau oder ein alter Mann, oder aber beide zusammen sitzen, viel zu alt und viel zu schwach um das Haus instandzusetzen sind. Die ganzen Jahre, während ich immer zu Maman in die Praxis kam um sie zu besuchen oder bei ihr auszuhelfen, fiel mir das Haus gar nicht so auf. 

Als Lars und ich in der Praxis ankamen, fragte ich die Assistentin, ob das Haus noch bewohnt sei.

"Ach das steht seit bestimmt 6 oder 7 Jahren leer. Der Sohn lässt es anscheinend verkommen. Ich weiß nichts weiter darüber."  sagte sie etwas verwundert.

"Ich habe mich nur umgesehen als ich auf Lars gewartet habe." Eigenartig für sie. 

Ich stelle immer wieder fest, dass die alten Leute hier immer unruhiger werden. Fast so unruhig wie wir die über 30jährigen die mitten im Berufsstress stehen. Nur dass sie mehr Zeit haben als wir. Viele sind noch mit dem Rad oder sogar noch mit dem Auto unterwegs. Sie sind unachtsamer als früher. Und viele davon sitzen oder liegen bei mir in der Praxis und lassen ihre Wunden versorgen oder sich trösten. 

Oma hatte eine Ruhe trotz dass sie Garten, Feld und Tiere hatte und uns Nervensägen um sich. Und Opa war die Ruhe selbst. Und beide hatten einen Durchblick und Rationalität als würden sie die Welt in den Fugen halten müssen.

Ich verbinde Altwerden mit Ruhe mit Besonnenheit, mit mehr Achtsamkeit und nicht mit Hektik und nervöser Geschäftigkeit wie durch den Berufsverkehr fahren, oder Angst vor dem Altern. Auch nicht mit Verletzungen von denen sie sich kaum mehr richtig erholen oder die sie zum Pflegefall werden lassen.

"Dich kann man keinen Augenblick allein lassen. Gerade mal sieben Minuten war ich weg." lachte Lars.

"Neun." stellte ich fest.

"Noch 10 Minuten Zeit für......"

"10 Minuten verliebt umschlungen bis zur Ecke und zurück zu laufen." schlug ich vor.

Menschen sahen uns an und lächelten....

Ich zehrte davon die ganze 45 Minuten Besprechung.









0 commentaires:

Enregistrer un commentaire