Perfektion II

 Ich bin behütet und beschützt aufgewachsen. Ich wurde geliebt. Ich wuchs unter verständbissvollen Menschen auf. 
Und doch zog ich los meine eigenen Fehler zu machen. Ich habe einen einen angeborenen Beschützerinstinkt, ein angeborenes Helfersyndrom und ich hatte viel Liebe in mir.
Und ich hatte einen Sturkopf wie zehn Widder. Und ich benutzte alle zwanzig Hörner um durch Wände zu gehen.
Super! Super, oder bravo würden einige "Selbstbewusste" rufen und  Skeptiker würden abwarten was passiert und in die Hände klatschen "wusste ich doch" wenn es in Schieflage gerät oder sogar schief geht.
Alle anderen würden sagen "man muss seine eigenen Fehler machen um das Leben zu begreifen."

Ich mache emotionale Fehler. Jede Menge davon.  Ich gehe irrational mit dem Kopf durch die Wand. Besonders dann, wenn ich glücklicher als glücklich bin, oder trauriger als traurig und besonders dann, wenn ich wütender als wütend bin.
Wie man es oft kennt: es gibt beruflich sehr viele selbstbewusste und rationale Menschen, deren Logik gut funktioniert, aber wenn es emotional wird, wenn ein Riss im Alltagskleid, oder im Gewohnheitskleid entsteht, weil mit der Zeit das Gewebe abnutzt und immer dünner wird und man sieht ein Stück Gefühlsunterkleid hervorblitzen wie ein BH oder Unterhose. Wenn man verunsichert ist, weil eine Veränderung ansteht und das Kleid reisst und reisst und man steht in Gefühls-BH und Gefühlsunterhose da.
Nur eine Ruptur und man tut Unüberlegtes, Irrationales, für sich selbst Unerklärliches und Unkontrollierbares.
Jenseits von aller Logik verliebte ich mich in einen Mann der versuchte mich nicht nur körperlich, sondern auch emotional zu kontrollieren. Ein Mann der so viel Fitness betrieb, kein Fleisch aß und alles inklusive Emotionen versuchte zu kontrollieren. Ich konnte mich von einem Augenblick zum anderen lösen. Verhütung war ein Streitpunkt. Ich wollte damals kein Kind. Im Studium ist der es schwer ein Kind zu haben und lernen zu müssen. Ihm war es egal. Verantwortungslos. 
Er kaufte die Minulet und legte sie mir auf den Frühstückstisch.
"In deinem Vogelfutter dass du da jeden Morgen kaust, hast nie etwas gemerkt." lächelte er. 
Ich liebte Müssli und Quark. Bis heute kann ich es nicht mehr essen.
Ich rastete aus und Pille für Pille landete in seinem dünnen Filterkaffee. 

"Verpiss dich aus meinem Leben du Ratte! Oder du säufst deine braune Dünnschissbrühe." schrie ich.


Ich heiratete einen Mann der überzeugt war, dass eine Frau verantwortlich für seine Stimmung, für sein leibliches Wohl und für seinen beruflichen Alltag ist. 
Und wenn er sich trotzdem nicht wohl fühlte oder sich sogar unverstanden fühlte, der Frau es heimzahlte mit einer anderen Frau, mit Schweigen und mit Zerstören von Tassen und Tellern und mit Eindrecken. Er wollte immer Bestätigung für alles was er tat und Recht für alles was er sagte.

Ich war rational genug um zu gehen. Lange genug versuchte er mich Festzuhalten mich unter Druck zu setzen. Hinzu kam noch mein damaliger Arbeitgeber als Kirchenträger der keiner Scheidung zustimmte, ohne dass ich meinen Arbeitsplatz verliere.  Kurz vor dem Facharztexamen ist es schwer eine Stelle zu finden, denn es sind Kosten die der Klinik entstehen.
Hinzu kam, dass er sich ebenso keine Scheidung leisten konnte, ohne berufliche Konsequenzen einzufahren.
Und so wollten wir warten bis wir unser Facharzt - Examen in der Tasche hatten. Und wenn ihn eine Angebetete verließ, weil etwas nicht passte oder eine Beziehung haben wollte, wollte er sich mit mir versöhnen. Für mich war es vorbei und Aufgewärmtes schmeckt nicht. Und ich wollte nur nach Hause. Und jeden den ich kennen lernte wollte nach dem 2-3 Date eine Beziehung. Ich wollte nur nach Hause. 

Dann rupturierte mein logisches Kleid und zeigte meine Gefühlsunterhose, sie zeigte mich nackt.
Und ich beschloss mich zu wehren. Ich wehrte mich so unlogisch so gefühlsunlogisch, dass ich bis dato nicht nachvollziehen kann, wie unkontrolliert ich gehandelt habe.

Ich verliebte mich. Ich weiß gar nicht mehr ob ich dachte, dass das den Riss schließen würde, mein Kleid wieder herstellen würde, wenn ich allen eins auswische die mich verletzt hatten oder von denen ich glaubte mich verletzt zu haben.
Ich weiß nur ich wollte spielen, den Alltag vergessen, alles drum herum ausblenden. 

Es hat lange gedauert bis ich auf das sogenannte "nur bisschen Flirten" emotional reagierte. Ich konnte mit meiner Ratio anfangs noch viel anfangen und sagen: "Vorsicht! Geh keinen Schritt weiter, lasse keine Gefühle zu. Schließe mit deiner Ehe ganz ab, auch wenn du Verluste einfährst. Schließe ab und du bist frei."
Aber so war es nicht, Ich wollte auswischen....wem auch immer.....und ich zog fremde Menschen in meinen Schlamassel mit rein.

Wie abartig, dass ich mich von Emotionen leiten ließ, wegen einem Idioten der keiner Scheidung einwilligt so zu erkalten, so glaçant zu werden. 
Anfangs habe wir uns nur geschrieben. Wir schrieben anfangs über Belanglosigkeiten, wir witzelten und wenn ich das Gefühl hatte, es würde sich etwas anbahnen zog ich mich innerlich zurück.
Ich versuchte mir lange einzureden, dass es ein harmloser Flirt sei und wer weiß, ob ich nicht auch nur ein harmloser Flirt sei für ihn. Ich war von Anfang an chaotisch, verspielt, frech. Er war ernst. Er hatte einen eher ernsteren melancholischen Humor. Ich versuchte mit Worten ihn von mir fernzuhalten. Ich dachte, dass ein ernster Mensch keine Chaoten, Frechdachse um sich brauchen. Ich war frech und meine Worte waren wie ein Scheuerschwamm, der jedes noch so aufkeimende Gefühl wegscheuert. 
Aber dann wurde es mehr als nur ein harmloser Flirt. Seine Worte die er an mich richtete, die beinhalteten  so viel Intensität, so viel Melancholie und so viel Sehnsucht und so viel Liebe. Und er zeigte mir alles was er ist und was er sein wird. Ungefiltert. Er war Novemberregen und ich liebte ihn. Ich liebte sogar seine Melancholie. Anfangs dachte ich, dass seine Melancholie von den Schmerzen käme, die er wegen seinen Nierenkoliken hatte. Solche Schmerzen kannte ich von Maman. Nur sie war nicht melancholisch. Nicht einmal dann als die eine Niere entfernt wurde und nicht einmal dann als die andere Niere wegen einer neuen Wucherung versagte und 2 mal wöchentlich zur Dialyse musste. 
Die kann man doch abstellen dachte ich und merkte irgendwann, er möchte sie gar nicht abstellen.   Trotzdem  begann ich ihn urplötzlich zu vermissen und gleichzeitig wusste ich, dass es nicht sein darf. Aus vielen rationalen Gründen nicht. Und aus Egoismus: ich bin nicht in der Ehe fremdgegangen, mein Ex war es. Wen zum Teufel wollte ich beeindrucken damit? Die Kirche, mich selbst, mein Arbeitgeber.....wen auch immer. Es war egoistisch und unlogisch. 
Ich aber in meinem Emotionskleid vermisste ihn, sehnte mich nach ihm. Ob das Verliebtheit war? Ich war nie so verliebt. Ich kannte dieses intensive Gefühl der Sehnsucht nicht. Es war kein körperliches Sehnen. Es war ein Herzsehnen. Wenn ich eine Nachricht von ihm bekam, hatte ich Herzrasen. Ich war wie gelähmt vor Sehnsucht und Angst.
Die Angst ist unkontrollierbar und unkontrollierbare Angst treibt zu Unkonrtollierbarem. Es ist wie ein Krieg zwischen dem Herzen und der Vernunft.

Ich hätte logisch sage können; "Jetzt hast du genug ausgewischt, wem auch immer du Idiotin!" aber habe ich nicht, denn logisch war ich damals nicht.
Ich hätte mich hinstellen sollen und Herzensgröße zeigen sollen. Ich tat es aber nicht. 
Ich weiß es bis heute nicht wieso ich Angst vor diesem Begriff  "Geschieden" hatte. Mag sein, dass ich das noch in den Herzfasern, dass meine Maman weder bei meiner Erstkommunion, noch bei der Firmung am Abendmahlfeier nicht teilnehmen durfte. Obwohl ich  nicht so religiös war, war es mir peinlich, dass sie ausgeschlossen wurde. 
Seelenblindheit nenne ich es heute.
Man sieht sich selbst nicht, oder man will sich selbst gar nicht sehen. Weder gut noch schlecht. Weder die Fehler die man macht, noch das Gute dass in uns versteckt ist und raus sollte.
Das Schlechte und auch das Gute kann unheimlich sein. Man zeigt es nicht gern.

Man ist nie nur gut, man ist ebenso schlecht wie gut. Man trägt beide Potentiale gleichermaßen in sich. Und wenn es um Liebe ging, war ich schon immer dumm. Ich habe die schlechten Seiten an mir nicht nur gezeigt sondern viel zu lange gefüttert. Ich provozierte.
Ich habe nicht gezeigt wie ich war bis das Kleid riss, sondern wie ich bin mit einem zerissenen Kleid.
Es gibt weder Richtig noch Falsch, dachte ich. Es gibt das Leben und die Liebe.
Ich habe es nicht einfach versäumt die Wahrheit zu sagen, ich habe bewusst gelogen. Auch dann als ich fühlte und wusste, dass ich ihn liebte. Ich liebte ihn lange danach noch. Ich war nicht mutig genug, ihm die Wahrheit über mich zu sagen. 
Was hätte ich nach so einer infamen großen Lebenslüge sagen sollen? 
"Ich sehe anders aus. Ich bin zwar getrennt, aber nicht geschieden. Lasse ich mich scheiden, muss ich ihm die Hälfte des Hauses, die Hälfte von dem was ich von Maman bekommen habe abgeben, dafür dass er mich betrogen hatte. Der Arbeitgeber würde mir nahe legen zu gehen, da Scheidung bei der Kirche immer noch nicht geduldet ist. Vielleicht hätten wir miteinander mehr reden müssen. Über uns reden müssen. Auge in Auge, Kopf an Kopf, Herz an Herz, Seele an Seele. Ich habe nicht geredet. Ich wollte es nicht. 

"Er würde es bestimmt nicht verstehen können und wollen. Er würde mich schlagen oder sogar in Rage töten. Ich habe ihn ohnehin verloren. Was soll's, Ich breche mit ihm und bin weg." Das war meine (un)logische wie emotionale Lösung.
Ich bin selbst weg. Ich wollte wieder ich sein. Ich wollte das Gute in mir zurück. Und er hätte das Gute in mir nie mehr gesehen.
Er sollte frei sein und Gutes in der Liebe erfahren und das war nicht ich. Und wenn ich auch noch so sehr gehofft hätte, ich wäre es nie geworden. Es hatte keinen Sinn sich an etwas festzuklammern was nie sein kann. 
Ich weiß auch nicht, ob ich ihn so geliebt hätte, dass ich mich auf das Ungewisse, auf die Veränderungen hätte einlassen können.

Es hat lange gedauert bis ich mich wieder vollständig gefangen habe. Ich konnte nicht aufhören ihn zu denken ich konnte nicht aufhören ihn zu lieben. Ich konnte nicht aufhören ihn zu vermissen. Ich konnte nicht ohne ihn.

Und keine 3 Wochen später nahmen die Götter meinen Bruder. In melancholischen Tagen denke ich, dass ich eine ganze Menge dazu beigetragen habe. Er fand meine Lügen heraus. Zufällig, weil ich ihm mein Laptop leihte, da er zu ermattet war sich an seinen PC zu setzen. Ich hatte meinen alten Laptop ihm ausgeliehen, bis er fit genug war sich einen zu kaufen.
Als ich vom Dienst kam und ihn besuchte, schrie er mich an. Er schrie und schimpfte und warf mir mein ganzes Versagen an den Kopf. Er sah mich mit seinen espressofarbenen Augen an, die in seinen Augenhöhlen fast tiefbraun wirkten, verachtend, abwertend.
"Ich hätte dir nie im Leben so etwas zugetraut." schrie er. "Ich war so stolz auf dich. Ich war so froh dich als Schwester zu haben. Du warst die einzige in der Familie die zu mir hält. Und nun, was ist aus dir geworden? Eine Hure!" schrie er. "Nimm dein Laptop hier weg, ich kann den nicht einmal mehr anfassen. Verpiss dich!" 
Mit letzter Kraft schrie er "Raus!"
Nach 5 Tagen wollte er wieder zum Dienst und kam nie wieder. Wir haben uns nicht mehr versöhnt.
Er bat mich, mich um seine Mädels zu kümmern, ihn bisschen zu helfen bis es ihm besser geht. Ich fühlte mich ausgenutzt. Ich kümmerte mich um seine Mädels, kaufte ihnen was sie brauchten, half  wo ich nur konnte.

Und ich wollte nur weg. Ich wollte alles hinter mir lassen und zu Oma zu ziehen. Ich habe ihn enttäuscht und nichts zu seiner Genesung beigetragen. Er machte sich sicherlich Gedanken um mich. Bis zur letzten Minute.  


Es war nicht  Lars, der mich von ihm weg brachte. Damals liebte ich Lars nicht. Wir waren nur Kollegen. Er war für 2 Monate mein Schichtdienstleiter. Dann musste er sich um seine Tochter kümmern die sich von einer OP nicht mehr erholte.  Ich half ihm bei seiner Trauer um sein Kind, er beschützte mich von den Angriffen meines Arbeitgebers indem wir uns versetzen ließen.

Man sollte beide Kleider gleichermaßen pflegen. Das Vernunftkleid und das emotionale Unterkleid. Das tat ich nicht. Ich weiß, dass man jeden Augenblick entscheiden kann, was man tut, was man will. Ob man die Wahrheit sagen will oder ob man lügen will. 

Es hat fast vier Monate gedauert, bis ich in Lars erkannte, dass er mich liebte. Ich lernte langsam ihn zu lieben. Durch ihn und mit ihm wurde ich gut. Als er mich fragte ob ich seine Frau sein möchte sagte ich Ja, denn ich wollte die Frau sein die ich nur sein konnte - unperfekt gut. Ich zögerte nicht, hörte auf niemanden. Alle waren dagegen. Er wirkte für die meisten zurückhaltend, sachlich und viel zu ruhig für mich. Ich liebte ihn. Er nennt mich Wirbelwind. Wenn ich ihn nach dem Wetter benennen sollte, würde ich ihm den Sommerregen zukommen lassen. Erfrischend, belebend und reinigend. Er überrascht mich jeden einzelnen Tag mit seiner wundervollen Art, mit seiner Entschlossenheit und mit seinem Optimismus.














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