Einen Schub Hoffnung

Ich hatte gestern um 16:30 eine OP angesetzt oder eingeplant.

Ich lege großen Wert auf Pünktlichkeit in der Terminvergabe. Ich mag keine großen Warteschlangen, vermeide lange Wartezeiten für Patienten. Manchmal und immer öfter haben wir auch Notfälle die schnell versorgt werden müssen, um Komplikationen zu vermeiden.

Aber der OP-Termin stand schon seit zwei Wochen.

Fünfzehn Minuten später waren wir im OP. Schrauben, Drähte, eine Metallplatte müssen nach einer Tibiakopffraktur entfernt werden. Seit über einem Jahr trägt der Patient diese Fixierungmetalle in seinem Knie. Kein riesengroßer Eingriff  und er wird meistens ambulant durchgeführt. Laut MRT ist der Knochen gut verheilt. Also kann es losgehen.

Der Kollege, ein Orthopäde der ebenso wie ich in Unfallchirurge fortgebildet wurden übernahm die OP-Leitung, da er als Orthopäde bei dieser OP eher gefragt ist. Ich assistierte ihm. Der Anästhesist, ein sehr erfahrener Kollege und eine OP Assistentin waren im Team.

Dem Patienten ging es gut. Leichte Benommenheit ist verständlich. Im Wartezimmer warteten seine Schwester mit ihrem Mann auf ihn. Auch die Nachversorgung müssen wir beachten.

Wir wollten ihn bis dahin begleiten, wie wir unsere Patienten immer bis zur Tür begleiten. Es ist keine Vorschrift aber eine unausgesprochene Geste die in jedem Krankenhaus, Praxis oder medizinischer Einrichtung praktiziert wird. Er hängte sich bei bei der Familie ein, wir tauschten ein paar Höflichkeiten und humorvolle Gesten aus. Kurz vor der Tür sackte er zusammen.

Meine Gedanken flogen blitzartig durch meinen Kopf. Die Narkose war einwandfrei, alles aufgezeichnet. Verwendete Medikation zur Dokumentation aufbewahrt, alles verwendete Material, Instrumente ales noch vorhanden. 

Verdacht auf Herzinfarkt. Schnell war mir die Diagnose klar.  RTW geordert. Ab 19 Uhr muss man viel Glück auf seiner seite haben, dass sie sich durch den Verkehrschaos  gut durchschlängeln können. Es gibt immer Witzbolde denen kein Rad unter den Hintern gehört. 

Die OP Schwester betete laut, während sie routiniert mithalf den Patienten zu stabilisieren. "Dein Gott, schläft hoffentlich nicht." sagte ich etwas lauter, weil ich mich konzentrieren wollte. Das Gebet an sich hat mich nicht gestört, aber wer hat nicht Angst wenn jemand vor seinen Augen zusammensackt? Auch wenn man noch so gut ausgebildet ist, Leben retten ist Glücksache und berufliches Können und Wissen gleichzeitig. "Wer kann hat Glück!" sagte mein Ausbilder immer. Nun, so einfach ist es nicht, denn der menschliche Körper muss zu diesem Glück ebenso einen guten Teil beitragen können. Ich rede nicht vom Wollen, denn jeder der sagt "ich will nicht mehr...ich kann nicht mehr....dessen Körper hört nicht auf seine Gedanken, er kämpft mit. Und dieser Mann wollte... er wollte so viel ......so schätze ich ihn ein.

"Dein Gott ist es auch," antwortete die OP Schwester knapp. Mag schon sein, aber wehe Er flüstert mir nicht zu was ich machen muss.....dachte ich. 

Wir konnten den Patienten stabilisieren. Nirgendwo war vermerkt, dass es schon einen Herzinfarkt hatte. Er hat auch nichts in seinem Bogen erwähnt. Das EKG und die Werte zeigten uns etwas anderes. Aber manchmal bemerkt man leichte Infarkte nicht, überlistet den Körper und macht einfach weiter. Das ist der Kampf der menschlichen Natur.

Der Notarzt, ein Kardiologe und die Sanitäter nahmen den stabilen Patienten, der wieder es mit Humor versuchte uns zu beruhigen mit.

Ich zupfte den Kardiologen am Ärmel und gab im eine Visitenkarte mit.

"Und wenn es mitten in der Nacht ist, veranlasse bitte dass ich angerufen werde, damit ich weiß wie es dem Patienten geht."

Er nickte und steckte die Visitenkarte ein.

Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich entschuldigte mich bei meiner Assistentin sie beim beten unterbrochen zu haben.

"Manchmal hilft das Beten und manchmal nicht. Aber ein Schub Hoffnung schadet uns nicht. Solltest du mal versuchen. Aber du hast ihn schnell zurückgeholt."

"Gott-sei-gedankt"  und mir fiel ein wie Maman mich daran erinnerte gut zu werden. "Sei nicht zerstreut, wenn du nicht gleich durchblickst. Du darfst nicht aufhören besser zu weden."

"Gott-sei-gedankt," wiederholte sie und bekreuzigte sich.

Ich lag schon im Bett, mit dem Kopf in Lars Armkuhle und wir sahen uns eine Serie im Streaming an.

Ich konnte mich nicht ganz auf die Episode konzentrieren.

Lars und ich gingen alles durch, sahen uns alle Notizen an, als um 23:27 mein Handy klingelte,

"Der Patient bekam noch einen leichten Infarkt hinterher, er wurde operiert, bekam eine Stent-OP und ist außer Lebensgefahr." Ich konnte mich darauf verlassen, angerufen zu werden, lernte ich. Auch so ein ungeschriebenes Gesetz: man kommuniziert miteinander. 

Lars streichelte meine Haare, küsste meine Stirn, seine Finger verhedderten sich in meinen Strubbelhaaren und es ziepte ein wenig.

Ich wurde euphorisch und hätte am liebsten die ganze Welt umarmt. Ich umarmte Lars. Er ist ein Teil meiner Welt. Die Kleinen wollte ich nicht wecken.

Ich war schläfrig, müde und euphorisch. 

"Ich verlasse mich auf keinen Hausarzt mehr, die OP Vorbereitung zu machen. Wir vergrößern unser Labor und machen sie hier."

"Hm..... und du meinst wir sollten investieren ......wenn du die Zahlen siehst......du bist aufgekratzt....wir reden Morgen in Ruhe darüber und mit dem Steuerberater, damit er uns die Abschreibung berechnet."

Nach dem Aufwachen hatte ich den selben Gedanken. Ich verlasse mich nicht auf  Hausärzte die zwischen Tür und Angel behandeln. 

Heute Morgen rief ich zurück und sein Zustand ist immer noch stabil. 

Shania Twain ist nicht gerade meine Superstimme aber mein Superfühlen Wort für Wort


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